"Drei Schwestern": Seelenunglück am laufenden Band

Ilseyar Khayrullova als "Olga", Margarita Gritskova als "Mascha" und Aida Garifullina als "Irina" in "Drei Schwestern"
"Tri Sestri" ("Drei Schwestern") von Peter Eötvös erlebte ihre Erstaufführung an der Wiener Staatsoper.

Eine Premiere solle im Regelfall ein Fest sein, verkündetet Staatsoperndirektor Dominique Meyer vor Beginn. Doch so richtig zum Feiern war dem Publikum an der Wiener Staatsoper bei Peter Eötvös’ "Tri sestri" im Haus am Ring dann doch nicht zumute. Das lag allerdings weniger an der aktuellen Produktion, als vielmehr an der Tatsache, dass Stunden zuvor die Nachricht vom Tode Nikolaus Harnoncourts publik wurde. Und so durften Anton Tschechows unglückliche "Drei Schwestern" in der musikalischen Umsetzung von Peter Eötvös erst nach einer (berührenden) Schweigeminute für den verstorbenen Dirigenten von Moskau träumen. Dass dafür dann am laufenden Band.

Wiener Fassung

Aber der Reihe nach: Im Jahr 1998 wurde Peter Eötvös’ Vertonung des Tschechow-Dramas (Libretto: Eötvös und Claus H. Henneberg) im Lyon erfolgreich uraufgeführt; 2002 war diese viel beachtete Produktion als Gastspiel bei den Wiener Festwochen im Theater an der Wien zu erleben. Damals noch mit Countertenören in den Rollen der "Drei Schwestern" Irina, Mascha und Olga. Für die Staatsoper hat Komponist Eötvös – auch um Repertoire-Aufführungen zu gewährleisten – diese Partien mit Frauen besetzen lassen. Nur die dominante Natascha, Frau des schwachen Bruders Andrei, wird am Ring von einem Counter (matronenhaft und stimmlich etwas eindimensional: Eric Jurenas) gesungen.

Aber: Eötvös hat auch keine lineare Literaturoper komponiert, sondern lässt das Geschehen (außer unglücklicher Liebe und vieler Lebensklagen passiert bekanntlich vordergründig nicht so viel) aus dem Blickwinkel von Irina, Andrei und Mascha ablaufen. Und das in russischer Sprache und – in der Inszenierung von Yuval Sharon – tatsächlich am laufenden Band.

Russische Provinz

Es gibt in der dunkel-biederen Ausstattung von Esther Bialas drei Schaukeln, drei Förderbänder, auf denen einige Requisiten permanent vorbeiziehen, und ein paar überaus dezente Video-Interventionen (Jason H. Thompson), die so als Kulisse für alles dienen könnten. Das stört nicht, das trägt aber auch nicht zu einer starken, stringenten optischen Komponente bei. Man ist halt in der russischen Provinz. Nicht mehr und nicht weniger.

Ein visuell äußerst unverbindlicher Rahmen also, in dem die "Drei Schwestern" von Moskau träumen. Den Anfang macht (nach einem kurzen Prolog) Irina (mädchenhaft-solide: Aida Garifullina), die zwischen Tusenbach (profiliert: Boaz Daniel) und Soljony (Viktor Shevchenko) steht. Es folgt Andrei (stückgemäß schwächlich: Gabriel Bermudéz), der unter Natascha leidet. Zuletzt träumt Mascha (auch vokal glaubhaft: Margarita Gritskova) von einem besseren Leben an der Seite Verschinins (expressiv: Clemens Unterreiner). Auch vergeblich.

Dekoratives Beiwerk

Olga (Ilseyar Khayrullova) hat bei Eötvös keine eigene Sequenz zugestanden bekommen, ist wie der stets betrunkene Doktor (extrem präsent: Norbert Ernst) oder Kulygin (souverän: Dan Paul Dumitrecu) oder die alte Amme Anfissa (Marcus Pelz) eher dekoratives Beiwerk.

In die sprichwörtliche Zange genommen werden sie alle von den beiden – das entspricht den Intentionen von Eötvös – Orchestern. Jenes im Graben, das kleinere, dirigiert Eötvös persönlich; er legt viele herrliche Klangschichten seiner ganz an der Sprache orientierten Partitur offen. Eötvös hat eine – im positiven Sinne – hörbare, dennoch überaus komplexe Musik verfasst, die von einer stets melancholischen Grundstimmung geprägt ist. Dass Dirigent Johannes Stockhammer – er ist für das gar nicht so kleine, auf bzw. hinter der Bühne platzierte Orchester zuständig – aus dem Notenmaterial weniger macht, ist schade.

Am Ende steht die Resignation. Das Leben geht für die "Drei Schwestern" irgendwie weiter. Ohne echte Höhepunkte. Und so blieb auch das große Opernfest aus. Freundlicher Applaus für alle Beteiligten, ein paar zarte Buhs und die Erkenntnis, dass das glamouröse Moskau manchmal sehr weit weg sein kann.

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