"Don Giovanni" in der Luxusausführung

"Don Giovanni" in der Luxusausführung
Luxus plus Luxus ergibt nicht automatisch doppelten Luxus. In Mailand feierte der denkbar teuerste "Don Giovanni" Premiere – nicht nur, was die Kartenpreise betrifft.

Wenn die Mailänder Scala alljährlich am 7. Dezember, zu Sant’Ambrogio, dem Tag des Schutzheiligen der Stadt, ihre Saison eröffnet, herrscht rund um das renommierteste Opernhaus der Welt Ausnahmezustand. Hunderte Polizisten sperren das Areal großräumig ab, damit Politiker, Selbstdarsteller, Showstars und Starlets – nicht selten, dass an diesem Ort die Grenzen verschwimmen – einigermaßen sicher vor Hunderten Aktivisten die teuerste Opernpremiere des Jahres besuchen können.

2000 Euro kostete heuer eine Karte in den Topkategorien – allein diese Demonstration des Geldes empfinden viele, die von den Sparmaßnahmen in Italien hart getroffen sind, als Provokation.

 

Ein paar Eier für Napolitanos Auto

"Don Giovanni" in der Luxusausführung

Dennoch hatte man den Eindruck, dass mit dem Abschied von Berlusconi auch der Protest etwas an Radikalität verloren hat. Heuer gab es zum Glück keine Verletzten, nur ein paar auf das Auto von Staatspräsident Giorgio Napolitano geworfene Eier. Im Theater selbst wurde dieser, an der Seite von Neo-Premier Mario Monti, mit Bravo-Rufen empfangen.
Theater vor dem Theater also. Theater auf der Bühne. Und da wieder einmal Theater im Theater, wie es viele Regisseure so gerne haben. Das Problem daran ist nur: Es geht sich inhaltlich so gut wie nie aus. Auch diesmal bleibt manches unklar.

Robert Carsen, der Regisseur, zeigt den besten "Don Giovanni" der letzten Jahrzehnte –, aber nur in den ersten 15 Sekunden. Während dieser Zeit, während Daniel Barenboim mit dem Scala-Orchester zur Todesverheißung in der Ouvertüre ansetzt, stürmt Don Giovanni aus dem Zuschauerraum auf die Bühne, reißt den riesigen Vorhang herunter, ein Spiegel zeigt die Logen mit den Premierengästenund fährt dann wackelig nach hinten, sodass alles zerfließt. Ein optisch effektvoller Auftakt.


Mit dem Nachteil, dass man sich als Besucher sofort mehr auf die Bühne konzentriert als auf die Musik. Mit Fortdauer des Abends ist es dann übrigens besser so.

 

Große Geste statt Tiefgang

Barenboim setzt auf große Geste statt auf Tiefgang, auf Breite statt auf Transparenz, seine Wahl der Tempi ist nicht schlüssig, der Klang antiquiert. Mozart muss man heute entweder mit dem Schönheits-Anspruch von Muti dirigieren (was ja an der Scala jahrelang geschehen ist). Oder mit der Härte und Konsequenz von Harnoncourt, am besten am Pult eines Originalklang-Ensembles. Barenboims "Don Giovanni" jedoch wirkt, als wäre in der Mozart-Interpretation seit Ewigkeiten nichts geschehen.


Bleiben wir also lieber auf der Bühne, wo sich Carsen für Mythos und Psychologie des Verführers interessiert und Sympathie für die Titelfigur äußert. Sein Don Giovanni ist nur zufällig ein Mörder. Er flirtet neckisch mit den schönen Damen, lässt die anderen, im Vergleich zu ihm leblos wirkenden Figuren wie Marionetten tanzen und schaut sich die Aufführung 1. Reihe fußfrei an. Er ist der Impresario, das Theater seine Sandkiste.

 

Don Giovanni raucht, während alle anderen untergehen

"Don Giovanni" in der Luxusausführung

Faszinierend ist die Friedhofsszene, wenn der Komtur in der Präsidentenloge, neben Napolitano und Monti, erscheint. Und die Höllenfahrt reißt gleich die ganze Scala, die auf der Bühne in Tausenden Facetten gespiegelt wird, mit in die Tiefe. Don Giovanni selbst raucht auch nach seinem offiziellen Tod cool eine Zigarette, während alle anderen untergehen.

Der Held stirbt diesmal nicht. Der Gattung geht es an den Kragen.
Die Besetzung ist das beste und teuerste, was ein Opernhaus aufbieten kann – und dennoch inhomogen. Peter Mattei ist ein grandioser Don Giovanni, nobel in der Stimme, stark im Ausdruck, fesch. Seit seiner fabelhaften Gestaltung der Partie in Paris in der Regie von Michael Haneke hat er sich sogar noch weiterentwickelt.


Bryn Terfel gibt als Leporello dem Dolm des Abends, amüsant, intensiv, stimmlich bleibt er einiges an Farben schuldig. Von Wotan wieder auf Mozarts Leichtigkeit umzuschalten, ist bekanntermaßen schwierig.


Anna Netrebko besticht als Donna Anna – in jener Rolle, die ihr in Salzburg zum Durchbruch verhalf. Ihre Sopran ist mittlerweile dunkler, dramatischer, unpräzise in den Koloraturen. Als Bühnenerscheinung, diesmal an die Lollobrigida und die Loren angelehnt, ist sie eine Gigantin. Barbara Frittoli ist eine hinreißende Donna Elvira, Anna Prohaska eine Zerlina mit süßem Ausdruck, aber allzu kleiner Stimme. Die größte Enttäuschung: Giuseppe Filianoti als Don Ottavio mit unelegantem Timbre und keinerlei Mozart-Kultur. Stefan Kočan ist ein beeindruckender Masetto, Kwangchul Youn ein mächtiger Komtur.
Sie alle spielen gut, harmonieren aber so, als würde der Fußballklub Barcelona mit lauter Messis einlaufen.

KURIER-Wertung: **** von *****

Fazit: Eine Premiere mit Problemzonen

Das Werk: Mozarts "Don Giovanni" an der Mailänder Scala zu deren Saisoneröffnung.

Der Dirigent: Daniel Barenboim enttäuscht mit seiner Lesart. Gab es eigentlich eine?

Die Sänger: Nominell purer Luxus, zusammen bilden sie aber kein Ensemble.

Die Regie: Robert Carsen setzt auf Theater im Theater: schöne Bilder, einige gute Ideen.

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