500 Jahre Bayerisches Staatsorchester – wenn das keine musikalische Feierstunde wert ist! „Ich habe die Geschichte dieses Orchesters ja nicht ganz miterlebt“, lacht Chefdirigent Vladimir Jurowski, der seit 2021 Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper und somit auch Chef des so traditionsreichen Orchesters ist. Im KURIER-Gespräch meint der 51-jährige gebürtige Russe: „Dieses Orchester kann einfach alles, und ich bin den Musikerinnen und Musikern unendlich dankbar dafür.“
In Wien präsentierte Vladimir Jurowski Werke von Richard Wagner, Robert Schumann und Gustav Mahler – ein Kernrepertoire? „Wagner und Strauss, auch Schumann sind in der DNA des Orchesters, aber ich habe auch den Blick ein bisschen mehr in Richtung Gustav Mahler gelenkt“, so der Maestro.
Wobei für Jurowski auch die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts einen sehr hohen Stellenwert einnimmt. „Wir wollen doch kein noch so schönes Begräbnis der klassischen Musik, wir müssen weitergehen. Das werden wir unter der Intendanz von Serge Dorny an der Bayerischen Staatsoper in München auch machen“, sagt jener Dirigent, der allein in dieser Spielzeit noch die „Fledermaus“ von Johann Strauß oder „Die Passagierin“ von Mieczysław Weinberg dirigieren wird. Nachsatz: „Der ehemalige Intendant Nikolaus Bachler hat diesen modernen Weg ja erst eröffnet.“
Familiäre Bande
Jurowski: „Die ,Fledermaus’ ist für mich ja eine Art Heimspiel, die habe ich an der Komischen Oper Berlin unter der Direktion von Barrie Kosky oft dirigiert. Mit Weinberg verbinden mich auch familiäre Bande. Meine Familie (der Vater war Dirigent, Anm.) hat Weinberg sehr gut gekannt, sie waren befreundet. Ich durfte diesen großen Mann der Musikgeschichte leider nie persönlich kennenlernen. Aber seine Musik muss weiterleben. Sie gibt uns so viel.“
Offenes Haus
In München will Jurowski ein „offenes Haus“ fördern. „Wir arbeiten mit dem Publikum, wir laden es ein, mit uns einen Weg zu gehen. Und siehe da, es funktioniert sehr, sehr gut. Denn es ist keineswegs selbstverständlich, dass Prokofjews ,Der feurige Engel’ immer ausverkauft ist.
Womit naturgemäß das Thema Russland-Ukraine geöffnet ist. Jurowski, der sich als einer der ersten russischen Künstler gegen Vladimir Putin und den Krieg positioniert hat und daher nicht nur in seiner Geburtsstadt Moskau als „Persona non grata“ gilt: „Ich hoffe, dass diese Gräuel bald ein Ende finden. Als Privatmensch glaube ich aber nicht daran. Das wird noch lange so weitergehen.“
Doch kann der Maestro die Proteste gegen Operndiva Anna Netrebko verstehen? „Ja, aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Ich habe viele russische und ukrainische Freunde. Ich verstehe, dass die Ukrainer mit Anna ein Problem haben. Auf der anderen Seite muss man sagen, dass sie eine ganz großartige Künstlerin ist. Sie hat sich letztlich auch von diesem Krieg distanziert. Wir sollten als Künstler Kunst, in diesem Fall Musik machen. Wir müssen nicht alles kommentieren. Auch wenn wir klare Meinungen zu dem Schrecken haben, der da gerade passiert. Jeden Tag sterben Menschen auf beiden Seiten, die das so sicher nicht gewollt haben.“
Falsche Mittel
Nicht gewollt hat Jurowski auch den Protest der „Letzten Generation“ bei einem seiner Konzerte mit dem Bayerischen Staatsorchester in Luzern. „Plötzlich sind die Klimaaktivisten auf die Bühne gestürmt und haben die Aufführung gestört. Ich habe ihnen allerdings dennoch ein Podium für ihre Anliegen gegeben und würde das auch wieder so machen. Sie konnten sprechen, danach haben wir weiter musiziert. Ich denke allerdings, dass dies die falschen Mittel sind, um das Bewusstsein der Menschen zum Thema Klimakrise zu schärfen. Was kann ein vor 100 Jahren gemaltes Bild für die heutige Situation? Was kann die Musik dafür? Abgesehen davon: So erreicht man keinen Menschen. Und jenes Publikum, das in die Museen oder in Konzerte geht, ist sich zu mehr als 90 Prozent bewusst, was die Stunde klimatechnisch geschlagen hat. Da rennt man offene Türen ein.“
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