Dirigent Gergiev über Musik, Politik und China

Abschied aus London, Antritt in München, ein Lebenswerk in St. Petersburg: Stardirgent Valery Gergiev
Der russische Dirigent Valery Gergiev polarisiert und fasziniert

Es war ein Bild mit hoher Symbolkraft. Die russische Fahne flatterte hehr im Wind, Russlands Präsident Vladimir Putin ließ sich feiern, die Olympischen Winterspiele in Sotschi wurden feierlich eröffnet, und er war 2014 einer von acht Fahnenträgern: Valery Gergiev, der charismatische, russische Pultstar, den die einen vergöttern, die anderen wegen seiner dezidierten politischen Haltung ebenso vehement ablehnen.

Ganz London

"Als Privatmensch darf ich wohl auch eine politische Meinung haben", sagt Gergiev im KURIER-Gespräch anlässlich seiner Abschiedstournee als Chefdirigent des London Symphony Orchestra, das er über Jahre künstlerisch geprägt hat. Mit den Londonern – der neue Chef heißt Simon Rattle – hat Gergiev viel verwirklicht. "Wir haben unzählige Gastspiele absolviert, etliche CDs eingespielt und bei unseren Konzerten am Trafalgar Square Tausende Menschen erreicht", zieht Gergiev Bilanz.

Tausende Menschen erreichen – das ist das Ziel des Dirigenten. "Musik kann den Menschen etwas vermitteln, das sich nicht in Worten ausdrücken lässt", betont der Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, der erst vor kurzem sein Antrittskonzert in Bayern absolviert hat. Proteste hatte es im Vorfeld gegeben; der "Putin-Freund" war nicht bei allen willkommen. "Das ist erledigt", sagt Gergiev, der auch für München große Pläne hat. "Das Münchner Publikum ist ein konservatives Publikum. Sie kennen ihren Strauss, Bruckner oder Mahler. Aber sie sollen auch die russische Musik oder die moderne Musik noch besser kennenlernen."

Ganz München

Und: "Ich möchte ein Chefdirigent sein, der ganz München erreicht." Erstes großes Projekt in dieser Hinsicht: Das Festival "mphil 360°", das im November startet, mehr als 20 Musik-Veranstaltungen (selbstverständlich immer in Top-Besetzung) bringt und Gergievs erste Münchner Duftmarke werden soll. "Ich freue mich sehr auf diese Herausforderung, aber ich werde auch London weiter erhalten bleiben. Wir haben in den vergangenen Jahren doch eine gemeinsame Geschichte geschrieben. Denken Sie an unsere Rachmaninow-, Tschaikowsky-, Skrjabin-, Mahler-Einspielungen. Mich interessieren in der Musik vor allem solche wertvollen Gesamtprojekte. Man muss künstlerisch immer das große Ganze im Auge haben."

Ganz St. Petersburg

Das hat Gergiev zweifellos. In St. Petersburg, wo er seit 1996 das berühmte Mariinski-Theater leitet, zieht Gergiev ebenfalls die Massen an. "Wir haben im alten Mariinski-Theater Platz für 2000 Zuhörer, in das neue Gebäude (Kosten etwa 550 Millionen Euro, Anm.), das im Jahr 2013 eröffnet wurde, passen noch mehr Menschen hinein. Das bedeutet: Wenn ich an einem Wochenende drei Mal am Tag dirigiere, hören das mehr als 6000 Menschen", so der Marathon-Mann.

Und: "Wir dokumentieren die Aufführungen auch für die Nachwelt. Aber wir filmen sie nicht bloß ab. Nein, das geht um eine eigene Regie bei Opern, Balletten, Konzerten. Um Fragen des Lichts, der Kamera-Perspektive, der visuellen und akustischen Umsetzung – das muss alles perfekt sein. Dann werden es die Menschen lieben."

Perfektion ist dem auch am Pult der Wiener Philharmoniker gern gesehenen Dirigenten wichtig. "Wir haben die Aufgabe, Musik mit möglichst vielen zu teilen, auf höchstem Niveau. Und wir müssen für die klassische Musik neues Publikum gewinnen. China etwa ist da ein idealer Markt. 20, 30 Millionen Menschen von Musik zu begeistern – das ist ein Ziel."

Versteht sich, dass Gergiev Tourneen nach China und Asien plant. Und Wien? "Eine der Hauptstädte der klassischen Musik, die ich nie aus den Augen verlieren werde. Hier, im Musikverein oder im Konzerthaus oder mit den Philharmonikern zu musizieren, ist immer etwas ganz Besonderes. Ich höre da sehr gut auf meine innere Stimme, was machbar ist und was nicht. Und ich will die Jugend fördern. Denn in ihr leben wir weiter, sie muss die Fahne der Kunst weiter tragen." Man glaubt es ihm.

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