Die Wiener Jazz-Szene hat den Blues

Die Wiener Jazz-Szene hat den Blues
Mehr als 120 Konzerte im November in zehn Wiener Clubs – und ein Lamento: Es gibt ein Nachfolgeproblem.

Die einen sehen eine lebendige Jazz-Szene in Wien – gemessen an der im internationalen Vergleich beispiellos hohen Dichte an Lokalen.

Andererseits haben einzelne Veranstalter mehr oder weniger den Blues der permanenten Existenzkrise. Wer erinnert sich noch an Lokale wie „Bluesman“ und „Papas Tapas“, an die legendäre „Jazzspelunke“, wo immerhin, lang lang ist’s her, auch Eddie Harris und Pat Metheny aufgetreten sind, oder „Willi’s Rumpelkammer“, die alle zugesperrt haben? Und dass Joe Zawinuls „Birdland“ im Wiener Hilton Hotel nach nur vier Jahren 2008 in Konkurs gegangen ist?

„Bei den noch existierenden Clubs ist Selbstausbeutung bis zum Geht-Nicht-Mehr an der Tagesordnung“, weiß Alfred Pulletz vom Verein IG-Jazz. Dessen „ Vienna Jazz Floor“-Festival feiert heuer mit dichtem Live-Programm an zehn Spielstätten im November sein 20-Jahr-Jubiläum.

Prekär für Musiker

Nach einst heftigem Protest der Wiener Clubs, die im Gegensatz zum Porgy & Bess in der Riemergasse keine Subventionen bekamen, hatte der damalige Kulturstadtrat Peter Marboe die Idee:

Ein Verein sollte gegründet werden. Dann könnten auch die anderen Veranstalter mit finanzieller Unterstützung der Stadt rechnen.

„Das war ein guter Ansatz, weil damit von öffentlicher Seite signalisiert wurde: Ihr seid uns wichtig. Und so wird auch mehr mediale Aufmerksamkeit generiert“, sagt im KURIER-Gespräch IG Jazz-Obmann Wolfgang Windbacher, der im Reigen jährlich rund 200 Live-Konzerte veranstaltet.

Von den zuletzt 94.000 Euro Subvention gehen abzüglich Werbeausgaben etc. rund 70.000 Euro an derzeit zehn Club-Lokale. Ursprünglich waren es mehr als 100.000 Euro, ehe die Summe einmal reduziert wurde und seit rund 15 Jahren gleich geblieben ist.

„Allein schon durch die Geldentwertung und die gestiegenen Kosten ist der Wert heute sehr viel geringer als früher“, so Windbacher.

Und Christoph Huber vom Porgy & Bess bestätigt: „Die Einnahmensituation der Musiker ist eigentlich prekär. Es stellt sich die Frage: Wie viel ist die Arbeit der Künstler der Kulturpolitik wert?“ Derzeit sei diese Wertschätzung sehr offenbar gering. Kompensiert werden Engpässe durch höhere Kartenpreise und rigid limitierte Gagen, „was leider zu Lasten der Szene geht“.

Dass die Jazzfans mit den grauen Bärten aussterben, kann Windbacher nicht bestätigen. Neben dem alten Stammpublikum seien für moderne Musik wie im Vorjahr für die fünfköpfige New Yorker Punk-Blues-Frauenband Jane Lee Hooker durchaus auch junge Leute zu begeistern.

Aber Namen mit Zugkraft, Künstler, die wie der Trompeter Thomas Gansch unmittelbar hintereinander das Konzerthaus und auch noch mehrmals das Jazzland füllen, sind selten.

Starke Momente gab es für Windbacher viele in seinen mehr als 30 Jahren im Reigen. Die Gitarrenlegende Baden Powell aus Brasilien gastierte noch am 11. November 1999 in Wien kurz vor seinem Tod. Astor Piazzolla spielte im halb leeren Konzerthaus, plante deshalb, im Reigen vor 400 bis 500 Leuten aufzutreten, unterzeichnete einen Vertrag – und starb. „Warum sich manche Konzerte hervorragend und andere schlecht verkaufen, ist mir bis heute ein Rätsel“, sagt Windbacher, der aktuell wieder größeres Interesse am Genre Blues registriert und aus eigener Vorliebe gern Latin- und Weltmusik auf die Live-Bühne bringt.

Nachfolger-Problem

Private Konzertveranstalter sind Jazz-Musikern ähnlich. Agiert wird mit großer Leidenschaft und viel Improvisationstalent. Und die Zukunft ist ungewiss, weil gedanklich ausgeblendet. Zwar ist das „Jazzland“ eine Institution und Axel Melhardt ein Original („Alt – aber still going strong“), der „Wiens ältesten Jazzkeller“ unter der Ruprechtskirche seit mehr als 45 Jahren betreibt. Aber seine Nachfolge ist ebenso wenig geregelt wie beim 70-jährigen Windbacher: „Viel Arbeit und wenig Verdienst, wer tut sich das an? Jemanden zu finden, der einsteigt und irgendwann übernimmt, ist schwer. Also mache ich weiter, solange es mir Spaß macht.“www.ViennaJazzFloor.at

Vienna Jazz Floor: 10 Clubs machen Musik

  • 1019 Jazzclub: 9., Althanstraße 12; www.1019jazzclub.at – Di. bis Sa. 19-2 Uhr, So geschl. Jazz mit Funk und Rock, Bigbands und Jamsessions
  • Blue Tomato: 15., Wurmsergasse 21; www.bluetomato.cc – Di. bis Do. 19-1.30, Fr. und Sa. 19-3 Uhr. Freejazz, Elektronik und Wienerlied
  • Davis: 21., Kürschnergasse 9; www.davis.at – Di. bis Sa. 19-3 Uhr,
  • So.und Mo. geschl. Swing, Funk, Soul, Latin, Fusion und Jazz-Rock
  • Jazzland: 1., Franz Josefskai 29; www.jazzland.at – Mo. bis Sa. 19-1 Uhr, So. geschl. Klassischer Jazz von den 1920ern bis zum Free Jazz
  • Jazz im „Martinschlössl“: 18., Martinstraße 18; www.jazzheinz.com – Tägl. 11-23 Uhr. Alles zwischen „Traditional“ und „Free Impro Jazz“
  • Miles Smiles: 8., Langegasse 51; www.miles.at – So. bis Do. 20-2,
  • Fr. und Sa. 20-4 Uhr. Mit knapp 40 m² Wiens „Jazz-Wohnzimmer“
  • Reigen live: 14., Hadikgasse 62; www.reigen.at – Mo. bis Fr. 18-2. Uhr, Sa. und So. 18-4 Uhr. Jazz, Blues, Reggae und lateinamerikanische Musik
  • Sargfabrik: 14., Goldschlagstraße 169; www.sargfabrik.at – Mo. bis Fr. 18-2, Sa. und So. 18-4 Uhr. Wiens Zentrum für Weltmusik
  • Tunnel Vienna Live: 8., Florianigasse 39; www.tunnel-vienna-live.at – Mo. bis Sa. 9-2, So. 9-24 Uhr. Jazz, Blues, Rock, World Music, Alternative
  • Jazzcafé ZWE: 2., Floßgasse 4; www.verein-jazz.at – Di. bis So. 18-2 Uhr. Jamsession-Spielplatz der heimischen Jazz-Szene

 

 

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