Die Virtuosität des (Selbst)-Betrugs

"Betrogen" von Harold Pinter, Stadttheater Walfischgasse 16.1.2013, Regie: Werner Schneyder (Joseph Lorenz, Nicolaus Hagg, Nicole Beutler) © Sepp Gallauer
Kritik: Jubel für die Premiere von Harold Pinters "Betrogen" im Wiener Stadttheater Walfischgasse.

Ein clever gebautes Stück eines Literatur-Nobelpreisträgers (Harold Pinter), ein prominenter, mit sicherem Instinkt ausgestatteter Regisseur (Werner Schneyder), drei bekannte, erstklassige Schauspieler (Nicole Beutler, Joseph Lorenz, Nicolaus Hagg): Was kann da schon schiefgehen?

Genau: Nichts. Und deshalb gab es nach der Premiere im beängstigend vollen Stadttheater Walfischgasse Jubel und Bravos.

Pinters „Betrogen“ („Betrayal“) wurde 1978 uraufgeführt und spielt angeblich auf eine Episode aus Pinters eigenem Privatleben an: Eine Frau betrügt ihren Mann mit dessen bestem Freund. Aus. Mehr passiert nicht. Wobei Pinter die Geschichte im Rückwärtsgang erzählt: Das Stück beginnt, als die Affäre schon wieder vorbei ist – und es endet mit dem ersten Kuss Jahre vorher.

Pausen!

Der Text ist wenige Seiten lang, nur ein paar hingeworfene Szenen. Entscheidend ist aber, wie immer bei Pinter, nicht das Gesagte, sondern das nicht Gesagte. Rund 150 notierte Pausen enthält das Stück. Es ist eine Qualität dieser Aufführung, dass die Schauspieler diese Pausen mit großer Musikalität ausspielen – und dass sie beim Sprechen auch immer das nicht Gesprochene mitspielen.

Denn dieser Text – so unterhaltsam er auf den ersten Blick wirkt – ist voller Abgründe. Er ist ein einziges Minenfeld: Jeder belügt hier jeden, inklusive seiner selbst, sogar die beiden nicht anwesenden, aber im Dialog präsenten weiteren Figuren (eine Ehefrau und ein Schriftsteller) sind Teil dieses virtuosen Lügen-Systems. Ohne viele Worte entlarvt Pinter den Menschen: Unser größtes Talent ist doch das zum Selbstbetrug. Und wir können weder Monogamie leben noch mit Untreue umgehen.

Beutler, Hagg und Lorenz spielen großartig, geheimnisvoll und sparsam die erste, herrlich sinister der zweite, wunderbar zerbrechlich der dritte. Werner Schneyder inszenierte präzise. Wie man hört, waren sich Darsteller und Regisseur nicht ganz einig, ob das Stück eher „in Dur“ oder „in Moll“ zu spielen sei. Auf der Bühne sieht man die einzig richtige Lösung: Der Text muss beide Klangfarben haben.

KURIER-Wertung: **** von *****

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