Wobei die richtige Balance – wo kann und darf das Objekt für sich allein stehen, wo braucht es Erläuterung – ein ständiger Balanceakt ist, wie sich beim Gang durch die Ausstellung zeigt. Generell aber ist das Kunststück, dem Publikum auf vielen Ebenen zu begegnen, gelungen – mit schlüssigen Erzählungen, vielen anregenden Details und klar formulierten Texten, Grafiken und Materialien.
Vom Mammutzahn an
Der Parcours ist chronologisch angelegt und beginnt in der Urzeit, ist aber doch durchgängig um Gegenwärtigkeit bemüht. So dient der Mammutzahn gleich in der ersten Vitrine dazu, seinen einstigen Träger als „Opfer eines Klimawandels“ darzustellen und auf Umweltthemen zu verweisen. Auch im späteren Verlauf wird man immer wieder gelb gerahmte Screens entdecken, die als Zeitfenster vom Historischen aufs Gegenwärtige blicken – etwa vom antisemitischen Bürgermeister Lueger auf die Debatte um dessen Denkmal.
Dass das Team um die Kuratorinnen Elke Doppler und Michaela Kronberger viel Wert auf Inklusion und Barrierefreiheit legte, ist offensichtlich – schon in der ersten Sektion gibt es Tastreliefs und Mitmachstationen, bei denen etwa, angeregt durch Stadtpläne des Mittelalters, an einer eigenen Metropole gebastelt werden darf.
Poldi schwebt über allem
Dann, gerade als man dachte, dass es vielleicht doch ein bisschen viel des Didaktischen ist, wird der Raum licht und hoch. Es tun sich Durchblicke in die zentrale Halle auf, in der neben dem Praterwal „Poldi“ nun auch eine repräsentative Kutsche schwebt und wo Figuren des barocken „Donnerbrunnens“ und das „Waldheim-Pferd“ stehen. Hier wird man dringend nötige Ruhepausen einlegen.
Zuerst aber noch: Begegnungen mit mittelalterlichen Königsfiguren, die ohne Glassturz unglaublich lebendig wirken. Details des Stephansdoms, präsentiert wie im Schaudepot. Hier ist sie wieder, die Magie des Originalobjekts, auf die Museen im digitalen Zeitalter so oft – und zu Recht – pochen. Wobei, später, in einer gelungenen Sektion zur Türkenbelagerung 1683, auch die Authentizität und Aussagekraft der Dinge infrage gestellt wird.
Der Wille, insbesondere die Heldenerzählungen der Vergangenheit zu dekonstruieren und statt dessen gesellschaftskritische Fragen zu stellen, bleibt über alle drei Etagen der Schau spürbar. In der Sektion zu Biedermeier und Vormärz ist der Spruch „Regiere, verändere nichts“, den Kaiser Franz I. am Totenbett tätigte, durchaus provokant entlang einer Raumflucht angebracht, über die eine Büste Fürst Metternichs mit strengem Blick wacht.
Kunst ist Dokument
Gemälde und Porträts dienen als Belege für die Armut und die sozialen Spannungen, die in jener Zeit erstmals „bildwürdig“ wurden. Dass der sozialdokumentarische Charakter den Kunstwert der Werke in der Schau völlig überschattet – es sind Spitzenbilder von Malern wie Waldmüller und Danhauser, in späteren Sektionen auch Werke von Makart oder Kokoschka ausgestellt – schmerzt aus Kunstkritiker-Perspektive ein klein wenig. Nur Gustav Klimts Bildnis der Emilie Flöge (1902) und Richard Gerstls Selbstporträt (1905) dürfen als Solitäre strahlen.
Gegenwart auf Screens
Man ist da schon in der Moderne und im 20. Jahrhundert angelangt, wo das Ausstellungsdisplay unruhig, die Bezüge der einzelnen Sektionen untereinander weniger klar werden. Vor allem aber scheint sich im Endspurt des Rundgangs noch einmal die Balance zwischen Objekt und Didaktik zu verschieben: Nach einem ratzfatz abgehandelten 1. Weltkrieg ist dem „Roten Wien“ viel Raum gewidmet, dieser wird jedoch in überwiegendem Maße von Schautafeln und reproduzierten Plakaten gefüllt.
Dass sich altes Papier aus konservatorischen Gründen nicht gut für eine langfristige Ausstellung eignet, mag ein Grund für diese Materialarmut sein, ist aber als Begründung unbefriedigend. Auch und gerade im letzten Teil der Schau, die jüngeren Aufbruchsbewegungen sowie der unmittelbaren Gegenwart gewidmet ist, verwundert es, dass so wenig Vertrauen in die Erzählkraft der Dinge gelegt wird. Ein Rucksack eines Essenslieferanten (als Indiz für prekäre Arbeit heute), ein Lastenrad (als Indiz für neue Mobilität), ansonsten Fotos und Screens, auf denen Menschen vom Leben in der Stadt erzählen – hier könnte ein Museum tiefer in den Depots graben. Die gute Nachricht: Man will diesen Teil der Schau flexibel gestalten.
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