"Die Rechnung" bei den Festwochen: Überflutet von Wein und Co

Zwei Schauspieler werfen ein Tischtuch auf einen Tisch
Menschliche Problemlösung als ewiges Nichtvorankommen im Kunst-Sketch "Die Rechnung" von Tim Etchells bei den Wiener Festwochen.

Es soll ja schon vorgekommen sein, dass man nach einer Festwochen-Aufführung eine Erklärung gebraucht hätte. Insofern ein ganz aufmerksames Service, das „Die Rechnung“ von Tim Etchells, Kopf der Performancegruppe „Forced Entertainment“, bietet. Die beiden Schauspieler Frank Genser und Christoph Schüchner , erklären zu Beginn, was sie jetzt machen werden. Schon da sind sie sich nicht einig, ob das jetzt nur ein bisschen oder doch ein bisschen mehr kompliziert wird. „Die Rechnung“ startet bei den Wiener Festwochen eine Reihe namens „Volksstück“, das durch die Bezirke tourt. Originellerweise in Kooperation mit dem Volkstheater, dessen frühere Tradition „Die Rechnung“ wohl ungeahnt zitiert. Im „Volkstheater in den Bezirken“ hat Ex-Direktor Michael Schottenberg auch im Vorfeld die Stücke erklärt.

"Scheiße, Scheiße, Scheiße"

Gut, erklären ist wiederum ohnehin das falsche Wort dafür, was die beiden Schauspieler machen. Eigentlich erzählen sie nur. Und zwar, dass sie jetzt eine Szene spielen werden, in der ein Ober einem Restaurantgast ein Glas Wein einschenken wird. Erst ein bisschen, dann mehr, dann zu viel – das Glas wird überlaufen und der Wein überall sein. Die Sauerei wird dann weggeräumt, es wird noch dankenswerterweise für alle mit enstprechender Schwäche erklärt, dass das Bühnenrechts das Publikumslinks ist. Da sind sie sich wieder einig. Schließlich beschließen sie, das Auditorium soll das Ganze bisher Gehörte in den inneren Papierkorb schieben (beim dazugehörigen Geräusch divergieren ihre Ansichten wieder) und erst dann beginnen sie, die Szene zu spielen.

Es passiert, wie vorangekündigt: Ober, Gast, Flasche, Glas, Überschwemmung, „Scheiße, Scheiße, Scheiße“, Chaos mitsamt Tischtuch weggehoben, Rollenwechsel, Ober, Gast, Flasche, Glas, Überschwemmung, „Scheiße, Scheiße, Scheiße“. Erinnerungen an den berühmtesten Einschenk-Sketch „Dinner for One“ steigen auf, während die Wiederholungen der Nonsenschoreografie variieren. Erst recht, als sie erklären, das Ganze wird jetzt 50 Jahre in die Zukunft versetzt. Da entgleist das Geschehen vollends, der eine Ober legt sich beim Tischdecken auf den Gast drauf, der andere Ober tanzt mit dem Tischtuch. Die Rollenverteilung wird komplett über den Haufen geworfen.

Einschenk-Gestus der heurigen Festwochen

Hier, so banal es gerade klingt, kann man ansetzen mit der Interpretation des Stücks. In diese eine Szene können allerlei politische und gesellschaftliche Trends hineingedeutet werden: von der Verunsicherung durch erschütterte Rollenbilder über die Überschwemmung, die man klima- und migrationspolitisch sehen kann bis zum kläglichen Abtupfen des Tischtuchs, das an politische „Pflaster“ auf dafür zu große Wunden erinnert. Am Schluss stellt sich natürlich auch die Frage: Wer bezahlt das alles? Wer übernimmt die Rechnung? Hier: zwei „weiße alte Männer“ mit gönnerhaftem Lächeln. Und zum Gestus der diesjährigen Festwochen passt die Idee des "Jetzt schenken wir denen einmal ein" fabelhaft.

Bessere Luft im Gänsehäufel

„Die Rechnung“ ist mit 80 Minuten eher kurz, aber obwohl die beiden Schauspieler mit perfektem Timing und Witz punkten, ist das Stück dann doch nur ein überlanger Sketch. Besonders im Schutzhaus auf der Schmelz, wo die Premiere stattfand und man sich in der letzten halben Stunde im Kampf um den letzten Sauerstoff im Raum befand. In der Location Gänsehäufel sollte man davor aber gefeit sein.

Bis 23. Juni noch an 14 weiteren Spielstätten (23. Mai Schloss Neugebäude), ab  Herbst tourt das Stück in Kooperation mit dem Volkstheater noch einmal in allen Bezirken.

Kommentare