Die Langzeitbelichtung der Ukraine

Die Langzeitbelichtung der Ukraine
Der in Wien lebende Anatoliy Babiychuk setzt sich in langfristigen Fotoserien immer wieder mit seiner ukrainischen Heimat auseinander

Eigentlich, sagt Anatoliy Babiychuk, wäre seine aktuelle Ausstellung schon beim Festival „Foto Wien“ im Vorjahr geplant gewesen, nur wurde dieses coronabedingt verschoben. Dass der Schauraum, der zur griechisch-katholischen Barbarakirche gehörende „Open Space Barbareum“ in der Wiener Postgasse, nun ein Fokuspunkt für die Hilfsorganisation der ukrainischen Gemeinde ist, war nicht abzusehen.

Auch Babiychuk hat derzeit Prioritäten abseits der Kunst. Er hilft Ankommenden, hat Verwandte aufgenommen. „Wir haben uns aber entschlossen, die Ausstellung trotzdem zu machen“, sagt der Fotograf. „Auch dieser grausame Krieg soll uns weder mutlos noch mundtot machen.“ Obwohl der 1975 geborene Künstler seit 1998 in Wien lebt, kreist seine in langfristigen Serien geschaffene Arbeit immer wieder um die nun unter Attacke stehende Heimat.

Die Langzeitbelichtung der Ukraine

Ukraine in Manhattan

Die Serie, die in der bis 8. 4. laufenden Ausstellung zu sehen ist, nennt sich „The Ukrainian East Village“ und entstand während eines Atelierstipendiums 2017/’18 in New York: Im Südosten Manhattans suchte Babiychuk Angehörige der ukrainischen Exil-Gemeinde auf und fotografierte sie an ihren Wohn- oder Arbeitsorten. Oft sind es nur Details – Gemälde, Deko-Objekte – die klar auf die Verbindung zur fernen Heimat hindeuten, sichtbar ist diese dennoch. „Ich rede auch mit den Menschen und nehme ihre Geschichten auf“, erklärt der Fotograf. Auch wenn er mittlerweile von der Technik analoger Großbildkameras abgekommen sei, habe er die gründliche fotografische Arbeitsweise beibehalten: „Ich bin kein Schnappschuss-Fotograf.“

Die Langzeitbelichtung der Ukraine

Die Serie über das ukrainische New York ist für Babiychuk die Fortsetzung des Projekts „Horaivka“, das 2018 als Buch erschien (Fotohof, 33 €). Neun Jahre lang hatte er den Heimatort seiner Frau in der Mittelukraine fotografiert – 338 km von Lemberg, 433 km von Kyiv, 501 km von Odessa und 992 km von Donetsk entfernt. In den Fotos sieht man manche Spuren der Sowjet-Ära, wenige Spuren der Globalisierung, vor allem aber: Innere Ruhe und Individualität.

Gegen Gleichmacherei

„Russland hat immer versucht, alles Ukrainische, darunter auch die Sprache und Kultur, auszuradieren und zu marginalisieren“, sagt Babiychuk. „Das Bewusstsein, dass wir eine unabhängige und souveräne Nation sind, war aber immer stark. 1991 (im Jahr der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine, Anm.) dachten viele: Das ist es, wofür unsere Vorfahren gekämpft haben. Dass wir das friedlich erlangen konnten, wurde positiv aufgenommen. Leider ist der Kampf um die Freiheit noch nicht zu Ende.“

Die Langzeitbelichtung der Ukraine

Babiychuks Bilder fügen dem Bild der postsowjetischen Ukraine viele Facetten hinzu. Der Ort Tscherwonohrad, in dem der Künstler aufwuchs, kommt in einer Serie über die dortige Kohlenmine vor, in der sein Vater 40 Jahre lang arbeitete. Im Rahmen eines Territorium-Tauschs mit Polen war der Ort erst 1951 zur (damals sowjetischen) Ukraine gelangt. „Die Kohle war auch eine Chance für uns, unabhängiger von Russland zu sein“, sagt Babiychuk und erwähnt nebenbei, dass Tscherwonohrad 1990 der erste Ort der Ukraine gewesen sei, in dem eine Lenin-Statue gestürzt wurde.

Zwischen 2007 und 2014 dokumentierte Babiychuk, wie sich Menschen in Abstellplätzen abseits des Ortskerns Rückzugsorte in Garagen geschaffen hatten – Werkstätten, Proberäume, Partyplätze. Dass eine Gleichschaltung dauerhaft gelingen kann, daran lassen nicht zuletzt auch diese Bilder zweifeln. „Meine Hoffnung ist, das auch die Menschen in Russland aufstehen“, sagt der Künstler. Derzeit sieht er aber keine andere Möglichkeit für die Ukrainer, als zu kämpfen. „Außer wir geben alles auf. Aber das ist nicht der ukrainische Geist.“

Dass der Krieg alle und alles aus dem Ruder wirft, ist dabei nicht zu ignorieren. Sechs Bilder, die für die Ausstellung in Kyiv ausgearbeitet werden sollten, konnten nicht produziert werden, weil die Stadt unter Raketenbeschuss steht. Babiychuk entschloss sich, aus Solidarität mit dem in Kyiv lebenden Drucker die fehlenden Bilder erst nach dem Kriegsende bei ihm zu drucken – somit ist ein Teil der Ausstellung mit leeren Rahmen vorzufinden. „Die leeren Rahmen sind auch ein Platzhalter für die unzähligen Bilder des grausamen Krieges Russlands gegen die Ukraine, die wir alle mehrfach gesehen habe“ sagt der Künstler.

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