Die Grenzen der Kunstdiplomatie: Russland fordert Bilder zurück
"Kunst selbst ist eine der wichtigsten diplomatischen Institutionen. Wenn alles andere versagt, beginnt die Kunst zu sprechen", erklärte Mikhail Piotrovsky, Direktor der St. Petersburger Eremitage, als ihn der KURIER anlässlich eines Gastspiels des Museums im Wiener KHM 2018 interviewte. "Ich sage immer: Auch wenn ihr alle anderen Brücken zum Einsturz bringt, lasst unsere stehen, dann wird alles andere über kurz oder lang wieder zusammenwachsen", so der Museumsmann damals.
Der russische Angriff auf die Ukraine hat nun aber auch die Brücke der Kunst weggebombt. So erhielt der Direktor des Palazzo Reale in Mailand nun einen Brief von Piotrovsky, mit dem die Rückgabe von 25 Werken gefordert wird, die derzeit bei einer großen Tizian-Schau ausgestellt sind. Es ist im Grunde dieselbe Schau, die zuvor im Wien zu sehen war und die berühmte Frauenbilder Tizians zeigt, darunter die "Junge Frau mit Federhut" aus dem Jahr 1536 aus der Eremitage.
Hintergrund sei eine Entscheidung des russischen Kulturministeriums, das staatliche Einrichtungen angewiesen habe, Leihgaben zurückzufordern, hieß es laut Medienberichten in Piotrkovskys Brief. Auch andere italienische Museen sind betroffen, Kulturminister Dario Franceschini erklärte, dem Rückruf Folge zu leisten.
In der Pariser Fondation Louis Vuitton, wo derzeit Meisterwerke der Klassischen Moderne aus der ehemaligen Sammlung der Gebrüder Morozov gezeigt werden, konnte man sich offenbar zu einem anderen Deal durchringen: Die hochkarätige Schau, die angeblich mithilfe von Vermittlung Putins höchstselbst zustande kam, ist nach Angaben des privaten Museums bis 3. April verlängert worden - ungeachtet der Tatsache, dass kritische Stimmen in Frankreich verlangten, die Werke von Cézanne, Van Gogh und anderen, die teils aus der Eremitage, dem Puschkin-Museum und anderen russischen Institutionen stammen, zu beschlagnahmen.
Doch der Abbruch der Beziehungen wird auch von westlicher Seite vorangetrieben: Frankreich etwa, das seine Freundschaft mit Russland noch bis 9. Jänner mit einer groß angelegten Schau im Kreml-Museum (Titel: "10 Jahrhunderte zusammen") zelebriert hatte, forderte laut einem Bericht des Fachmediums ArtNews 15 Objekte zurück, die in einer Ausstellung über historische Duelle gezeigt hätten werden sollen. Das KHM wäre an dieser Schau mit vier Objekten aus der Hofjagd- und Rüstkammer beteiligt gewesen, nach Auskunft des Museums gingen diese aber wieder zurück - die Ausstellung wurde letztlich gar nicht eröffnet und ist auf unbestimmte Zeit verschoben.
Kein Dürer in St. Petersburg
Österreichs große Museen, die allesamt den Einmarsch in der Ukraine öffentlich verurteilen und teilweise auch Hilfsmaßnahmen organisieren, haben auch sonst derzeit keine großen Schätze in Russland verliehen, wie es auf KURIER-Nachfrage heißt. Die Albertina hatte zwar geplant, 12 Werke von Albrecht Dürer an die große Dürer-Jubiläumsschau der Eremitage in St. Petersburg zu schicken, die noch bis 28. März angesetzt ist. Man sei aber davon abgekommen - vor allem, weil die Kuriere, die mit den Bildern mitreisen, unzumutbar lange Quarantänezeiten auf sich zu nehmen gehabt hätten, wie ein Sprecher erklärt. Die politische Situation in der Ukraine sei zum Start der Schau im Dezember 2021 noch nicht absehbar gewesen, wohl hätten aber die Unruhen in Belarus die Entscheidung mit beeinflusst.
Auch das Belvedere hat derzeit keine Leihgaben in russischen Museen hängen - es seien derzeit auch keine geplant, heißt es. Der Österreichische Museumsbund empfiehlt seinen Mitgliedern mittlerweile, von Kooperationen mit russischen Museen vorerst abzusehen. Und er befindet sich damit innerhalb eines breiten Konsenses: Die National Gallery London gab etwa bekannt, bei ihrer geplanten Raffael-Schau auf russische Leihgaben zu verzichten. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben ihre Brücken abgebrochen, und sogar die Amsterdamer Dependance der Eremitage in St. Petersburg distanzierte sich vom "Muttermuseum". Es wird lange brauchen, bis diese Brücken wieder aufgebaut sind.
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