Es muss ein Spektakel gewesen sein an jenem 2. April 1959. An diesem Tag gastierte Georges Mathieu, damals unumstrittener Star der Kunstwelt, mit einer Malaktion vor Publikum im Wiener „Theater am Fleischmarkt“.
In gerade einmal vierzig Minuten verwandelte der Franzose eine zweieinhalb mal sechs Meter große Leinwand in das Gemälde „Hommage an den Konstabler von Bourbon“ (großes Bild), voll mit energischen, direkt aus der Farbtube gedrückten Markierungen auf blauem Grund. Der Domprediger Otto Mauer, Wiens Schirmherr der abstrakten Kunst zu jener Zeit, soll die Hoffnung gehegt haben, das Werk geschenkt zu bekommen. Er scheiterte an Mathieus Forderung, dass um das Bild herum erst eine Kapelle gebaut werden müsse.
Nun ist das Werk, das zur Initialzündung für die gestisch-abstrakte Malerei in Österreich und in Folge für den Aktionismus werden sollte, wieder in Wien: Als Teil der formidablen Ausstellung „Ways of Freedom – Jackson Pollock bis Maria Lassnig“, die sich bis 22. 1. anschickt, mehrere Stränge der abstrakten Kunst der Nachkriegszeit zu vergegenwärtigen.
New York und Paris
Grundsätzlich lassen sich zwei Spielarten jener Strömung ausmachen, die Malerei von der Darstellung befreite, sie auf pure Farbe auf Leinwand reduzierte und den individuellen Ausdruck in den Mittelpunkt stellte: Die US-amerikanische Variante, der „Abstrakte Expressionismus“ oder kurz AbEx, ist heute primär über Rekordpreise geläufig, die für Werke von Jackson Pollock, Mark Rothko oder Willem de Kooning gezahlt werden. Nicht nur hohe Versicherungssummen, auch die schwer transportablen Formate bremsen heute die Zirkulation dieser Preziosen.
Im Kalten Krieg wurden AbEx-Werke allerdings munter um die Welt geschickt – als beispielhafte Ausdrucksform autonomer Individuen und als solche nur in der „Freien Welt“ möglich. Weil konservative US-Politiker dennoch eher Gekleckse darin sahen, nahm ein Zirkel außenpolitischer Vordenker bisweilen die Unterstützung der CIA in Anspruch, um diese Kunst zu fördern, wie die Britin Frances Stonor Saunders im Buch „Wer die Zeche zahlt“ detailliert ausführt. Die europäische Variante, genannt „Informel“ oder auch „Tachismus“, entwickelte sich auf Basis des Surrealismus und weniger politisiert in Paris.
Keine Männerdomäne
In beiden Szenen aber bestimmten Männer mit Hang zu Trank und Theatralik längste Zeit die Außenwahrnehmung – Pollock & Co. in New York, Mathieu und andere in Paris. Dass dies ein Zerrbild ist, kann Kuratorin Angela Stief in der Albertina Modern nun grandios vorführen: Mit rund 50 % Frauenanteil ist die Ebenbürtigkeit der Malerinnen in dieser Blütezeit der Abstraktion nicht mehr zu leugnen. Helen Frankenthaler, die die sogenannte „Soak Stain“-Technik erfand, bei der Farbe in die ungrundierte Leinwand sickert, ist stark präsent (eine tolle Solo-Schau dieser Künstlerin läuft noch bis 30. 10. in der Kunsthalle Krems), dazu Elaine de Kooning, die meinte, sie male „nicht im Schatten, sondern im Licht“ ihres berühmteren Ehemannes Willem. Selbiges ließe sich über Lee Krasner sagen, die Frau von Jackson Pollock, die mit herausragenden Bildern vertreten ist. Dass die Marktwerte der Männer weiter um ein Vielfaches über jenen der Frauen liegen, ist freilich Tatsache.
Die Wiener Schau setzt dabei vor allem auf direkte visuelle Vergleiche, um Beziehungen und Verwandtschaften aufzuzeigen: Arnulf Rainers schwarz-weiße „Brücke“ (1951) besteht da hervorragend neben einem Bild von Franz Kline, Josef Mikl – auch er Vertreter des Kreises um Otto Mauers „Galerie nächst St. Stephan“ – korrespondiert schön mit dem US-Farbfeldmaler Morris Louis.
An Dynamik und Unmittelbarkeit hat diese teils mehr als 70 Jahre alte Malerei nichts verloren. Die Frage, ob sie tatsächlich eine „universelle Sprache“ darstellt, wie ihre Förderer einst behaupteten, darf aber 2022 neu gestellt werden. Möglicherweise fängt ja eine neue Generation wieder an, sie als „Kleckserei“ zu sehen: Dieses Publikum wird in den dezent gestalteten Sälen eher allein gelassen. Gerade weil so vieles auf diese Kunst projiziert wurde, wäre hier noch etwas mehr Kontextualisierung wünschenswert gewesen.
Kommentare