Die finstersten Seiten Italiens

Giorgio Fontana, Jahrgang ’81, über nie geheilte Wunden Italiens
Der Autor Giorgio Fontana über die Herausforderungen, vor denen seine Heimat steht.

Was bedeutet Gerechtigkeit, und ist linker Terror weniger schlimm als rechter? Der junge Staatsanwalt Giacomo Colnaghi ermittelt im Fall der Ermordung eines Rechtsaußenpolitikers. Seine eigene Geschichte, die seines Vaters, eines Widerstandskämpfers gegen die Nazis, und die verzweifelte Suche nach dem, was "richtig" ist, kommen dem ehrgeizigen Juristen dabei in die Quere.

Giorgio Fontanas Roman "Im Namen der Gerechtigkeit" und das nun auf Deutsch erschienene Buch "Tod eines glücklichen Menschen" sind inhaltlich miteinander verbunden, aber dennoch eigenständige Werke, in denen es um Justiz, Politik und persönliche Enttäuschung bei der Suche nach Recht und Moral geht. Fontana vermischt Fakten mit Fiktion und lässt die Geschichte Italiens der 1970er und ’80er atmosphärisch wieder auferstehen.

KURIER: Herr Fontana, was für ein Buch haben Sie da geschrieben? Ist das ein Justizkrimi, ein Historiendrama oder eine tragische Vater-Sohn-Geschichte?

Giorgio Fontana: Alles das. Es geht um die menschliche Existenz.

Was interessiert Sie, im Angesicht des internationalen Terrors von heute, am italienischen Terrorismus der 1980er? Und was halten Sie davon, wenn wir sagen, der Linksterrorismus gehe vom Wunsch aus, die Welt verbessern zu wollen?

Die finstersten Seiten Italiens
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Der italienische Linksterrorismus kommt nicht von Nichts: Die Vorstellung einer Truppe von Wahnsinnigen, die der Revolution wegen um sich schießt, ist völlig falsch. Nein, die Diskussion über die Legitimität von Gewaltanwendung im Sinne der guten Sache dauerte Jahre und ist in den frühen ’80ern endgültig verstummt. Zunächst handelte es sich um eine linke Bewegung, die aus der kommunistischen Partei wuchs und die der Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit zu immer revolutionäreren Ideen trieb. Zweifellos waren darunter gute Ansätze, die schlimmste Äußerung dieser Bewegung ist allerdings grauenhaft: Terrorismus.

Einem Protagonisten legen Sie den Satz "Das sind Kriminelle. Punkt" in den Mund.

Auch das stimmt. Natürlich waren das auch Kriminelle. Das zeigt auf bittere Weise, was aus verzerrten Idealen werden kann und dass die falschen Mittel auch zu falschen Schlüssen führen. Dass auch hehre humanitäre Vorstellungen letztlich zur Verachtung für das menschliche Leben führen können. 1977 haben Linksradikale in Turin eine Bar angezündet, die als Treffpunkt für Faschisten galt. Zu Tode kam allerdings ein junger Mann, Roberto Crescenzio, der absolut nichts damit zu tun hatte. In linken Zeitungen entspann sich dann eine Debatte um "humanitäre Moral" und ob es eine Legitimation für Gewalt geben kann. Die Antwort darauf kann nur sein: Nein.

Haben die Jahre des roten Terrorismus Spuren in Italien hinterlassen?

Zweifellos: Eine Gruppe von unschuldig Ermordeten oder Verletzten; nie geheilte Wunden und ein großer Schaden für die gesamte Linke. Daher kommt ja die banale Bezeichnung der "Bleiernen Jahre" für die ’70er: Als ob es damals nichts als die bewaffnete Gewalt gegeben hätte. Insofern hat die Entscheidung, zu Waffen zu greifen, auch die gesamte linke Bewegung getroffen.

Abgesehen davon hat der Rechtsterrorismus noch viel tiefere Wunden hinterlassen. Die schrecklichen Massaker, die die Faschisten mit Deckung des Geheimdienstes angerichtet haben: Die Bombenanschläge auf der Piazza Fontana in Mailand, den Bahnhof in Bologna oder die Piazza della Loggia in Brescia, wo es erst kürzlich, nach 41 Jahren Verurteilungen gegeben hat! Vom bewaffneten Kampf der Linken wissen wir so gut wie alles, die Protagonisten des faschistischen Terrors sind bisher fast alle davongekommen, ihre Spuren verliefen im Sand. Das ist eine besonders finstere, beunruhigende Seite Italiens.

Sie arbeiten auch als Journalist. Wie sehen Sie Italien heute? Vor welchen Herausforderungen steht das Land?

In Italien, wie in so vielen anderen Ländern auch, geht die soziale Schere immer weiter auseinander. Dazu kommt die organisierte Kriminalität auf so vielen Ebenen, die diffuse politische Korruption und ein eklatanter Mangel an öffentlicher Ethik. Ich halte Italien außerdem für reichlich machistisch und zudem von rassistischen Umtrieben gekennzeichnet.

Sehen Sie trotzdem noch den Wunsch, die Welt zum Besseren verändern zu wollen?

Ja, zweifellos. Nach wie vor kämpfen viele für eine gerechtere, menschlichere Gesellschaft. Und ich glaube, dass meine Generation aus den Fehlern der Älteren gelernt hat. An Gewaltanwendung denkt heute niemand.

Der neue Roman beginnt 1981, dem Jahr Ihrer Geburt. In gewisser Weise erzählen Sie auch die Geschichte Ihrer Generation. Wie glauben Sie, wird die Geschichte der Generation verlaufen, die jetzt geboren wird?

Gute Frage... zweifellos sind die Herausforderungen groß. Die Welt wird ein immer komplizierterer Ort. Die Umweltprobleme, der durch religiösen Fundamentalismus ausgelöste Terrorismus, und die Schere zwischen Arm und Reich...es gibt viel zu tun.

Mit dem Premio Campiello haben Sie einen der wichtigsten Literaturpreise Italiens gewonnen. Können Sie nun vom Schreiben leben?

Vor einem Monat habe ich nach langem Nachdenken meine Anstellung gekündigt und bin nun wieder Freelancer. Ich arbeite als freiberuflicher Journalist, halte Schreibseminare, schreibe Comics und natürlich weiterhin Romane. Schauen wir, wie es läuft.

KURIER-Wertung:

Zur Person: Der Schriftsteller Giorgio Fontana, 1981 im lombardischen Saronno geboren, studierte Philosophie in Mailand und arbeitet als Journalist und Buchautor. Sein erster ins Deutsche übersetzte RomanIm Namen der Gerechtigkeit“ wurde in Italien mehrfach ausgezeichnet. Für das nun auf Deutsch erschienene Buch „Tod eines glücklichen Menschen“ erhielt Fontana den Premio Campiello, einen der wichtigsten Literaturpreise Italiens.

Das Buch: Giorgio Fontana: „Tod eines glücklichen Menschen“. Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Nagel & Kimche. 255 Seiten. 20,50 Euro.

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