"Risse im Beton": "Es gilt das Gesetz des Stärkeren"

Film: Risse im Beton - 2014.
Umut Dağs "Risse im Beton" über einen Jugendlichen, der von einer Rap-Karriere träumt.

Wenn Umut Dağ etwas nicht leiden kann, dann Begriffe wie "Migranten-Problemfilm" oder "Sozialdrama". In seinem zweiten, intensiven Spielfilm "Risse im Beton" erzählt der Haneke-Schüler – geboren 1982 in Wien als Sohn kurdischer Eltern – von einer Gruppe Jugendlicher in Wien zwischen Rap-Musik und Drogen-Deal. Und von einer Vater-Sohn-Beziehung.

KURIER:Sie erzählen von Wiener Jugendlichen mit sogenannten migrantischen Hintergrund, die von einer Karriere als Rapper träumen und Drogen verkaufen. Wie wichtig ist der nationale Background?

"Risse im Beton": "Es gilt das Gesetz des Stärkeren"
Interview mit dem jungen österreichischen Filmregisseur Umut Dag am 16.09.2014 in Wien.

Umut Dağ :Gar nicht. Der Junge, der jetzt die Hauptrolle spielt, hieß in unserem Drehbuch ursprünglich nicht Mika, sondern Michael. Wir haben uns darum bemüht, nicht nur österreichische Jungs und Mädls aus der ersten-, zweiten- und dritten, sondern auch aus der x-ten Generation zu finden – also Urwiener. Aber beim Casting haben sich dann nur Kids aus Hietzing und Döbling gemeldet, und das ging sich im Setting der Geschichte nicht aus (lacht). Meine Hauptdarsteller sind in ihrer Herkunft bunt gemischt – Türken, Tschetschenen, Kroaten, etc. Aber letztlich ist es egal. Alle Protagonisten leben in Österreich und sind hier aufgewachsen. Auch das Milieu ist zweitrangig. Im Vordergrund steht eine berührende Vater-Sohn-Geschichte, die universell ist und überall spielen könnte.

Aber ist nicht genau das spezifische Milieu das Interessante?

Schon, aber die Erfahrung hat mich gelehrt, dass Menschen extreme Scheu vor Filmen haben, die nicht in den üblichen bürgerlichen Verhältnissen der österreichischen Filmwelt spielen. Die Leute sehen einen Tschuschen auf dem Plakat denken sofort, es handle sich um einen Migranten-Problemfilm oder ein Sozialdrama. Und dann gehen sie erst gar nicht hin. Erst kürzlich sind Leute nach einer Premiere zu mir gekommen, die Kinokarten gewonnen hatten, und meinten: "Eigentlich wollten wir uns Ihren Film gar nicht ansehen, weil wir dachten, dass es wieder so ein ,Problemfilm‘ ist. Aber jetzt sind wir froh, denn er war ganz toll und berührend." Leider denken viele so.

Die Jugendlichen haben einen herben Umgangston, nennen sich "Missgeburt", "Spast", ...

Ja, die reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Dabei haben wir noch einige Ausdrücke ziemlich beschönigt (lacht). Aber es stimmt, die Sprache ist chauvinistisch, homophob, unreflektiert – man trägt sehr viel auf dem Rücken der anderen aus. Es gilt das Gesetz des Stärkeren. Aber ich habe es nicht verurteilt. Für mich war es wichtig, dass ich es verstehe, um dann hinter die Fassaden schauen zu können.

Wie haben Sie das Milieu recherchiert? Erzählen Sie aus eigener Erfahrung?

Jein. Ich habe auf der Filmakademie eine Zeit lang Musikvideos für Rap-Gruppen gemacht und dabei viele Jugendliche kennengelernt. Aber ich kenne auch viele aus den Bezirken, in denen ich aufgewachsen bin. Ich weiß, wie sie fühlen. Und ich habe mich gefragt, wie es sein kann, das Jugendliche Anfang zwanzig glauben, dass sie keine Zukunft haben? Das hat mich interessiert.

Werden diese Jugendlichen ausgegrenzt?

Es ist ihre eigene Wahl. Ich erzähle sicher nicht, dass sie nicht die Möglichkeiten hätten, aus ihrer Sackgasse heraus zu kommen. Sie glauben, sie sind in einer ausweglosen Situation und wehren sich gegenüber Alternativen. Aber man muss schon die Kirche im Dorf lassen: Wir sind in Wien und nicht in Mexico City oder Johannesburg.

Sie haben bei Peter Patzak und Michael Haneke an der Filmakademie studiert. Was haben Sie von den beiden gelernt?

Bei Patzak hatte man alle Freiheiten und wurde darin bestärkt, zu probieren, sich auszutoben und aus dieser offenen Kreativität zu schöpfen. Haneke wiederum ist sehr genau und handwerklich-technisch minutiös. Die Kombination war mit Geld nicht aufzuwiegen, denn man lernte beides: Freiheit zu haben und trotzdem extrem genau zu arbeiten. Diese beiden Extreme waren toll.

"Risse im Beton": "Es gilt das Gesetz des Stärkeren"
 
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Es fängt an mit einer Watsche. Eine Frau tritt aus dem Gemeindebau und geht auf einen Mann zu. Zuerst sieht sie ihn nur an, dann ohrfeigt sie ihn. Weint und ohrfeigt ihn weiter, immer heftiger. Der Mann hat ihren Sohn getötet, nun lässt er sich von ihr schlagen. Aber entschuldigen kann er sich nicht.

Umut Dağs ("Kuma") zweiter Spielfilm erzählt mit düsterem Hardcore-Realismus von den Mean Streets Wiens, fernab der Touristenpfade. Wenn sich im Hintergrund das Riesenrad dreht, dann nur, weil es am Praterstern Flipperautomaten gibt. Dort hängt eine Freundesgruppe ab, die sich gerne mit "Spasti" und "Missgeburt" anredet und von einer Karriere als Gangsta-Rapper träumt. Besonders Mika, ein 15-jähriger Österreicher aus Tschetschenien, setzt seine ganze Zukunft auf ein selbst fabriziertes Mix-Tape. Außerdem vercheckt Mika Drogen und fragt sich, warum der neue Hilfsarbeiter im Jugendzentrum so viel Interesse an ihm zeigt. Dass es sich dabei um seinen Vater Ertan handelt, der – siehe oben – gerade aus dem Gefängnis gekommen ist, wird bald klar.

Die große Stärke von Umut Dağs intensivem Rap-Melodram liegt in einer fast dokumentarischen Nähe zu seinen Protagonisten. Mit dynamischer Kamera folgt er den Jugendlichen durch die Clubs, auf Rap-Konzerte oder einfach nur nach Hause. Besonders der herausragende Murathan Muslu als Ertan re-lativiert die kraftmeierische Pose des Sohnes allein mit den Nuancen seines Gesichtsausdrucks ("Das Gefängnis ist kein Gangsta-Rap"). Gegen Ende hin schnürt Dağ aber seine wilden Teenager ins Korsett der hochgefahrenen Vater-Sohn-Geschichte. Das wirkt zwar emotional effektvoll, aber auch ein bisschen zu Genre-schematisch.

INFO: " Risse im Beton". Drama. Ö 2014. 105 Min. Von Umut Dağ. Mit Alechan Tagaev, Murathan Muslu, Ivan Kriznjak.

KURIER-Wertung:

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