Der Flug einer Boeing und das Leben des Vaters als „Fade out“

„All right. Good night.“: Die Boing verschwand irgendwo im Meer - das Publikum hat viel zu lesen
Kritik: Rimini Protokoll präsentierte für zwei Abende im Volkstheater „All right. Good night.“ von Helgard Haug

Sich an den Kosten einer Produktion von Rimini Protokoll zu beteiligen, ist prinzipiell keine schlechte Idee. Weil das deutsche Kollektiv seit zwei Jahrzehnten herausragende Arbeiten abliefert. Volkstheaterdirektor Kay Voges hat mit „All right. Good night.“ von Gründungsmitglied Helgard Haug sogar einen Volltreffer gelandet: Die Uraufführung fand im Dezember in Berlin statt – und wurde sogleich zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Für gerade einmal zwei Abende war das „Stück über Verschwinden und Verlust“ nun in Wien zu sehen (noch heute, 31. März).

Haug „erzählt“ – ungewöhnlich für postdramatisches Theater – von ihrem Vater und seiner unaufhörlich schwerer werdenden Demenzerkrankung. Es geht also, wie im Roman von Arno Geiger, auch hier um einen „alten König in seinem Exil“. Doch Haug kombiniert die Geschichte eines Verfalls mit dem Verschwinden einer Boeing 777 der Malaysia Airlines am 8. März 2014 auf dem Flug MH370 von Kuala Lumpur nach Peking und der verzweifelten Suche nach ihr.

Das Wrack und die Wrackteile

Ganz logisch ist die Parallelführung nicht. Denn der Vater, das „Wrack“, verliert sich im Nichts; die Absturzstelle des Flugzeugs hingegen kann man nach dem Auffinden von Wrackteilen im Indischen Ozean lokalisieren. Verbunden sind beide Schicksale aber durch das „Fade out“: Die Boeing flog so lange in Richtung Süden, bis es keinen Treibstoff mehr gab.

Haug hat über den Flug MH370 viel Material zusammengetragen: Beim Verlassen des malayischen Luftraums soll sich der Pilot von der Flugsicherung mit „All right. Good night“ verabschiedet haben (was später dementiert wurde). Dann allerdings änderte sich die Route: Nach gut 39 Minuten verschwand die Boing mit 239 Menschen an Bord von den Radarschirmen und flog hinaus aufs offene Meer. Auch über die Trauerarbeit der Hinterbliebenen berichtet Haug – in einem sehr sachlichen Ton. Das passt zur betont kühlen, fast abstrakten Inszenierung hinter einem Gazevorhang (für Projektionen).

 

Der Abend beginnt mit einer Gruppe junger Leute, die sich zur Flughafen-Geräuschkulisse für das Boarding anstellen. Dann hebt das erste Kapitel an – über Anzeichen der Krankheit bzw. den Take-off. Die Mitglieder des Zafraan Ensembles packen ihre Instrumente aus und beginnen eine Art Requiem zu spielen. Zunächst dominieren Geige, Kontrabass und Vibrafon, später wechselt Evi Filippou auf ein Schlagzeug.

Komponistin Barbara Morgenstern vermag die Stadien der Demenz über acht Jahre variantenreich zu untermalen: Mit Zunahme der väterlichen Desorientierung werden die Sätze ihrer Sinfonie immer disparater, aber auch gewaltiger; zum Schluss agiert (dank Videozuspielung) ein ganzes Orchester.

Szenisch tut sich nicht viel. Nach dem Abheben wird Sand aufgebracht und die Bühne zum Strand: Die Musiker und die beiden Helferlein schauen auf das Meer mit den rückwärts abgespielten Wellen. Im Vordergrund steht ohnedies der Text – als Stimmenwirrwarr-Hörspiel und als Projektionen. Das hat eine ungeheure Wucht. Doch mit der Zeit (der Abend dauert fast zweieinhalb pausenlose Stunden) verliert die äußerst stilsichere Inszenierung an Kraft. Man sehnt sich – wie der Vater – nach einem Ende.

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