„Die Bibliothek ist das Symbol und die Realität des kollektiven Gedächtnisses“, beginnt Umberto Eco und zitiert den Renaissance-Dichter Dante Alighieri, der im „Paradiso“ den Anblick Gottes beschreibt: „Ich erblickte in einem einzigen Buch die Seiten des ganzen Universums.“
Ein Showman
Es wäre nicht Eco, würde es jetzt ausschließlich in diesem bedeutungsschweren Ton weitergehen. Der Wissenschafter und Romancier sah sich als Geschichtenerzähler, der auch unterhalten wollte. Wer je einen Auftritt Ecos, ob im Fernsehen oder auf der Universität, gesehen hat weiß: Er war ein Showman. Er unterhielt mit pointierten Offenbarungen („Ich hasse meinen Roman ,Der Name der Rose’ und ich hoffe, Sie hassen ihn auch“), er beeindruckte mit eingängigen Erklärungen. Etwa darüber, warum man Bücher lesen solle: Weil nur Geschichten Wahrheiten liefern würden. „Der Papst in Rom und der Patriarch in Konstantinopel haben unterschiedliche Ansichten über den Heiligen Geist. Aber es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass sich Madame Bovary umgebracht hat und dass Superman Clark Kent ist.“
Professore Eco
Regisseur Davide Ferrario wollte mit seiner Dokumentation „Umberto Eco – Bibliothek der Welt“ (ab heute im Kino) eigentlich keinen Film über Eco, sondern über dessen Bibliothek machen. Doch Professore Eco war eine harte Konkurrenz für jeden Co-Darsteller, auch wenn seine Bibliothek zu beeindrucken vermochte. Rund 35.000 moderne und 12.000 antike Bücher besaß er. Die Bibliothek hätte plangemäß nach seinem Tod vor acht Jahren dem italienischen Staat übergeben werden sollen.
Bis jetzt ist jedoch, von ein paar Unterschriften abgesehen, wenig passiert, erzählt Ferrario, der vor einigen Jahren mit Eco auf der Kunstbiennale Venedig zusammengearbeitet hat und nun auf Bitten der Familie Ecos exklusiven Zugang zu dieser literarischen Wunderkammer bekam. Sein Film sollte eigentlich die Übergabe der Bibliothek dokumentieren. Bisher ist allerdings nur die kostbare Sammlung antiker Bücher übersiedelt: Darunter Inkunabeln, also Bücher aus der Frühzeit des Druckes vor 1500, Bücher über Okkultismus, Magie, Astronomie, Dämonologie, Alchemie bis hin zu Texten über die Erforschung der Seele der Tiere oder die spirituelle Gemeinschaft der Rosenkreuzer, über die Eco 1988 im Roman „Das Foucaultsche Pendel“ schrieb. Sie sind nun in der Biblioteca Braidense in Mailand untergebracht.
Das Gedächtnis der Welt
Davide Ferrario hat also einen anderen Film gemacht. Einen, der anhand von Ecos Buch „La Memoria vegetale“ durch das Wesen von Bibliotheken an sich führt. Das „pflanzliche Gedächtnis“, so die wörtliche Übersetzung, weil Papier aus Holz gemacht wird und auf Papier gedruckte Bücher, befand Eco, das Gedächtnis der Welt enthalten. Das Buch trägt auf Deutsch den Allerweltstitel „Die Kunst des Bücherliebens“ und geht somit am Wesentlichen vorbei: Eco bestand auf dem haptischen Faktor. Gemäß Ecos Herangehensweise, Wissen nicht zuletzt über Unterhaltung zu vermitteln, war auch Ferrarios oberstes Gebot: „Nur ja keinen langweiligen Film machen!“
Im Interview mit dem KURIER erzählt er, er habe deshalb darauf verzichtet, Prominente zu Wort kommen zu lassen. Stattdessen sieht man hier, neben Eco selbst (Ferrario führte bereits in der Vergangenheit Interviews mit ihm), Ecos Familie. Ecos achtjährige Enkelin fährt mit Rollschuhen durch die keineswegs heilige Bibliothek, in deren Regalen auch Charlie-Brown-Figuren Unterschlupf finden. Ein älterer Enkel erzählt, er habe als Kind gedacht, sein Großvater hieße nicht Umberto, sondern „Professore“ Eco. Und man erfährt nebenbei, dass Professore Eco die Hausaufgaben für seinen Enkel schrieb. (Er bekam immer Einser.)
In Italien herrschte, als Eco am 1. Februar 2016 in Mailand starb, so etwas wie Staatstrauer. Selbst der Lunapark blieb geschlossen, um vom „großen Meister Eco Abschied“ zu nehmen. Die Menschen drängten zur Trauerfeier im Sforza-Schloss im Stadt-Zentrum, es gab kein Durchkommen. Auch nicht für Ecos Frau. Im Film schildert Renate Ramge, dass man sie selbst dann nicht durchlassen wollte, als sie sagte: „Ich bin die Witwe.“
Ein bisschen traurig, ein bisschen schräg ist das – so wie die allgemeine Gefühlslage dieser Dokumentation.
Ecos Zufluchtsort
Ecos Kinder Stefano und Carlotta sprechen darin über den sentimentalen, aber auch den ganz praktischen Wert der Bibliothek für den Vater. Insbesondere der Raum mit den antiken Schriften war Ecos Zufluchtsort. Hier hielt er sich auf, spielte Flöte, betrachtete die Bücher. Handy und Computer waren tabu.
Nicht nach dem Alphabet, sondern nach Bereichen, deren Logik nur er kannte, ordnete Eco seine Bücher. Er stelle sie oft um, die Bibliothek war lebendig. Immer wieder erzählt er im Film, wie wichtig das Lesen auf Papier ist: unterstreichen, Eselsohren machen, Marmeladeflecken hinterlassen – all das habe auch sentimentalen Wert.
Erinnerung ist die Seele des Menschen, sagte er. „Wer nicht liest, wird mit 70 Jahren nur ein einziges Leben gelebt haben: Sein eigenes. Wer liest, wird 5.000 Jahre gelebt haben.“