Sie wiederholen sich zwar nicht in Ihren Stoffen - aber ein Faktor in all ihren Büchern und Filmen doch gleichgeblieben. Sie beschreiben immer wieder in allen möglichen Spielarten die Gemeinheiten, zu denen Menschen in allen Milieus und Gesellschaftsschichten fähig sind. Was fasziniert Sie daran?
Sie meinen, dass mich vor allem für Gemeinheiten interessiere? (lacht). Naja. Sagen wir so: Ich interessiere mich nicht so für das, was behauptet wird, sondern für das, was geheim gehalten wird. Mich haben die Abgründe immer mehr als die Fassade interessiert und in der Schere zwischen Aufrechterhaltung und Wahrheit liegt eine weite Strecke Humor. Und je tiefer der Abgrund, desto schwärzer wird er - der Humor.
Und wie gehen Sie jetzt an Ihr Kafka-Projekt heran?
Hier ist es anders. Denn man ist der Wahrheit einer Lebensgeschichte verpflichtet. Gleichzeitig ist ein Leben keine Geschichte. Es ist viel fragmentarischer. Vieles bleibt uneingelöst. Dinge verlaufen sich. Es gibt keine ausgefeilten Plots. Das Leben ist ein unbefriedigender Erzähler. Es ist auch das erste Mal, dass ich etwas Historisches drehe - man muss aufpassen, nicht zu dokumentarisch heranzugehen und trotz historischer Fakten eine künstlerische Handschrift zu entwickeln. Außerdem war Kafka für mich und mein Schreiben natürlich immer sehr wichtig. Uns, und da darf ich auch für Daniel sprechen, ist es daher wichtig, dass wir ihm gerecht werden. Das ist eigentlich das Wichtigste. Obwohl sein Leben durch die Tagebücher sehr genau dokumentiert ist, ist es schwierig, seiner habhaft zu werden. Aber genau das ist eigentlich das Thema dieser Serie. Und deshalb wird es bestimmt kein klassisches Biopic.
Wie war die Arbeitsaufteilung zwischen Ihnen und Daniel Kehlmann, der ja die Drehbücher geschrieben hat?
Wir haben uns immer wieder sehr ausführlich über die Herangehensweise an die einzelnen Folgen unterhalten und Daniel hat es dann geschrieben. Am Ende hat es der Kafka-Biograf Reiner Stach noch geprüft und wertvolle Vorschläge gemacht. Ohne ihn wäre es bestimmt nicht möglich gewesen. Ich glaube, so etwas Komplexes wie die Welt von Kafka zu ersinnen, das kann man nicht allein machen. Da braucht man einen Sparringpartner. Wir wollten einen Zugang finden, der sich nicht der klassischen Kafka-Klischees bedient, weil viele davon auch gar nicht stimmen. Es ist die Geschichte von einem, der in zwei Welten lebt und darunter leidet und der in seiner Literatur so etwas wie eine Privatmythologie über die eigene Person erfunden hat. Das macht ihn innerhalb der Literatur zu einer fast religiösen Figur, die dementsprechend verehrt wird. Wir haben versucht, dazu einen leichtfüßigen und teilweise auch humorvollen Zugang zu finden.
Sie sagen, dass Ideologien Sie nicht interessieren, aber gerade darin liegen ja viele Abgründe. Wie etwa in der stärker werdenden Tendenz zum Populismus – falls man den überhaupt als Ideologie bezeichnen kann. Wäre es nicht gerade für Sie eine Herausforderung, die Ursachen des zunehmenden Rechtsrucks zu analysieren?
Der Vorteil beim Drehen von Filmen ist, dass man viel Einblick in verschiedene Milieus bekommt. Schon allein dadurch, dass man Locations begeht, oder als Drehbuchautor Kontakt zu unterschiedlichen Menschen sucht, die man vom Leben abschreiben will. Ich habe versucht, mir selbst immer wieder neue Welten zu erschließen, mich überraschen zu lassen. Was nicht heißt, dass ich mir damit anmaßen kann, die Welt besser zu verstehen als andere. Im Gegenteil. Je mehr man gesehen hat, desto weniger versteht man, habe ich das Gefühl. Auch der sogenannte Rechtsruck ist ein sehr weites Feld. Ich bin mir ja nicht einmal bei den progressiven Linken mehr sicher, ob sie überhaupt links sind.
Sie haben mit Ihrer Serie „M“, die von einem Kindermörder handelt, eine Neudeutung des Films von Fritz lang geschaffen und beginnen jetzt mit Ihrem Projekt über den Schriftsteller Frank Kafka. Wie wichtig ist für Sie diese Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Kanon?
Der Sinn des Remakes von „M“ war ein Abgleich faschistischen Gedankenguts damals und heute. Fritz Lang hat seinen Film 1931, also am Vorabend des Faschismus, kurz vor der Machtergreifung der Nazis gedreht – und unsere TV-Serie spielt in einer Zeit, da die Rechten in weiten Teilen Europas regierten. Es ist aber vor allem eine atmosphärische Analyse. Letztendlich empfinde ich unser M als eine Studie der Depression einer Gesellschaft. Und wie sich Ausgehsperren anfühlen, wissen wir inzwischen ja ebenfalls. Außerdem handeln der Film von Fritz Lang, sowie auch meine Serie von Missbrauch und Mord an Kindern. Aber auch von der politischen Instrumentalisierung derselben. Beides, das Thema und das Anheizen von Mobs, sind leider brandaktuell.
Um noch einmal auf Kafka zurückzukommen, der sein Leben und seine Literatur streng getrennt hielt und damit ja den späteren Zugang zur Beurteilung von Kunst vorwegnahm. Etwa nach der Vorgabe des Philosophen Roland Barthes, der quasi jeden Autor für tot erklärte und damit meinte, dass man Kunst und Literatur immer nur nach der Qualität beurteilen soll. Leben und Moral eines Künstlers oder Schriftstellers sollten dabei keine Rolle spielen. Wir haben jetzt wieder so einen Fall mit „Corsage“, dem Film von Marie Kreutzer. Soll man den Film nun nicht mehr sehen können, weil Florian Teichtmeister mitspielt?
Das ist ein sehr komplexes Thema. Aber um es einmal von der Warte des Schriftstellers zu betrachten: Jeder Autor, der behauptet, dass er sein Leben und sein Schreiben zu trennen imstande ist, ist ein Scharlatan. Diese Trennung gibt es nicht, weil alles was er weiß, alles was er schreibt, was er findet und er-findet in sich selbst und seinem Erlebten findet. Das war im Übrigen auch bei Franz Kafka so. Damit stellt sich die Frage: muss ein Künstler, muss ein Schriftsteller ein moralisch einwandfreier Mensch sein? Natürlich nicht, denn sonst könnte und müsste er nur über moralisch einwandfreie Dinge schreiben und das würde uns dann auch gar nicht interessieren. Wir machen ja auch immer wieder Filme und schreiben Bücher über Serienmörder. Was nicht heißt, dass wir deshalb selbst einen Mord begehen müssen, aber wir müssen uns diese Gedankenwelt – zumindest vorübergehend – zu Eigen machen, in sie hineintauchen, sich ihr stellen. Vielleicht könnte ein Schauspieler, der keine Abgründe hat, auch keinen Menschen mit Abgründen spielen. Andererseits: Gibt es den Menschen ohne Abgründe überhaupt? So gesehen empfinde ich vieles, was im Augenblick so gesagt wird, als ein großes Theater der Scheinheiligkeit. Im Übrigen schauen wir uns noch immer die Bilder von Leonardo da Vinci an, obwohl er ein verurteilter Pädophiler war. Aber das Argument ist auch schon ein Klischee.
Wie soll die Gesellschaft also damit umgehen, wenn ein Verbrecher oder Mörder ein künstlerisches Werk schafft?
In meinem Verständnis gibt es nur einen Maßstab, der die Freiheit der Kunst beschneiden darf: Das Werk darf auf keinen Fall in Zusammenhang mit einem Verbrechen entstanden sein. Wenn ich ein Bild sehe, auf dem ein Kind sexualisierter Gewalt ausgesetzt ist, und der Schöpfer des Werkes ein Sexualtäter ist, dann bildet das Verbrechen die Quelle des Werkes. Da kann man über die Grenzen der Kunst diskutieren, wie zum Beispiel bei Otto Mühl - aber selbst das halte ich für problematisch. Denn Kunst ist Kunst und nie die Wirklichkeit.
Und wie sehen Sie den Fall Teichtmeister?
Dass der Fall Teichtmeister uns alle schockiert und beschäftigt, ist klar. Wenn es um Kinder geht, ist jedes Verbrechen furchtbar. Dass man jetzt alle Filme verbietet, in denen er mitspielt, halte ich für falsch. Er hat eine Straftat begangen und dafür gibt es ganz klare Richtlinien für die Beurteilung durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte. Florian Teichtmeister spielt ja in „Corsage“ nicht einen Pädophilen, der sich an Kindern vergeht. Für mich stellt sich die Frage, was wir in der Filmbranche tun können, damit es zu keinerlei Übergriffen kommt. Wie wir Schutzbereiche schaffen können – vor allem für Kinder. Und diese dann auch überwachen. Und noch etwas beschäftigt mich, seit ich gelesen habe, dass sich in der Zeit der Corona-Lockdowns die Internet-Zugriffe auf Szenen des Kinder-Missbrauchs und auf Seiten mit nationalsozialistischen Inhalten verzehnfacht haben. Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, warum ist das so? Und das ist wiederum etwas, was auch die Kunst fragen kann. Deshalb ist es auch wichtig, dass es Filme gibt, die sich ernsthaft und behutsam mit Pädophilie auseinandersetzen, damit wir überhaupt begreifen, womit wir es zu tun haben. Auch dafür gab es in letzter Zeit ein Beispiel, das für Aufregung sorgte – „Sparta“ von Ulrich Seidl. So ein Film ist wichtig, aber es ist auch wichtig, dass man die Umstände, unter denen er entstanden ist, genau beobachtet. Auch ein Beispiel, wo es Gerüchte gab, die sich in diesem Fall aber als falsch erwiesen haben. Der Ruf ist trotzdem irreparabel angekratzt - es beweist: Wir brauchen mehr Genauigkeit. Bei allem.
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