David Lagercrantz sieht dunkle Wolken am Himmel

David Lagercrantz
Der schwedische Autor schreibt die "Millennium"-Saga von Stieg Larsson weiter. Im Interview mit dem KURIER spricht er über den fünften Teil, Politik und den Schatten des Vaters.

Zuerst hat er sich die Lebensgeschichte des englischen Mathematikers Alan Turing vorgenommen und ist dann mit seiner Biografie des schwedischen Ausnahme-Fußballers Zlatan Ibrahimovic so richtig berühmt geworden: David Lagercrantz ist Stockholms Literatur-Popstar. Kein Wunder also, dass die Familie des im Jahr 2004 verstorbenen Stieg Larsson ihn dazu auserkor, die "Millennium"-Saga fortzuführen.

Dieser Tage ist der fünfte Teil der Geschichte um die geniale Computerhackerin Lisbeth Salander erschienen. In "Verfolgung" befindet sich Lisbeth im Gefängnis. Die Konflikte dort lassen nicht lange auf sich warten.

KURIER: Warum ist Lisbeth Salander so eine packende Figur? Ist es die Faszination des Underdogs, des anarchischen Punks, der Frau, die sich nie und nimmer unterkriegen lässt?

David Lagercrantz: Als Stieg Larsson Lisbeth kreierte, war sie etwas ganz Neues, das es bis dato nicht gegeben hatte: Eine weibliche Heldin ohne die traditionellen femininen Attribute, die niemanden braucht, um sie zu beschützen, und die sich nicht darum schert, Dinge zu tun, um jemandem zu gefallen. Ein weiblicher Cowboy mit feministischen Werten.

Wie weit ist Lisbeth in Ihrem Kopf verankert? Ist sie sehr besitzergreifend?

Ich muss mich zwingen, sie ruhig zu stellen, sonst würde ich verrückt werden. Wenn du dich so intensiv mit einer Figur beschäftigst, wird sie zur Obsession. Auch wenn Stieg Larsson sie und die anderen Figuren des "Millennium"-Universums wie den Journalisten Mikael Blomqvist geschaffen hat, fühlen sie sich an wie meine eigenen Geschöpfe. Sie fließen durch meine Venen.

Lassen Sie sich beim Schreiben durch aktuelle politische Ereignisse beeinflussen? Etwa vom wachsenden Rassismus in Europa? Der Welle von Migranten?

Es ist unmöglich, nicht von den jüngsten Verrücktheiten der Politik und den menschlichen Tragödien, die durch Krieg und Armut ausgelöst werden, eingeholt zu werden. Da sehe ich mich auch als würdiger Nachfolger Stieg Larssons, der immer die aktuellen politischen Brüche und Zeitströmungen verfolgt hat. Als ehemaliger Journalist bin ich zutiefst besorgt über die Lügen und die Desinformation, die gerade in unserem öffentlichen Diskurs Platz greifen. Das muss man einfach thematisieren.

Wie weit sind Sie in die überaus erfolgreichen Verfilmungen der "Millennium"-Bücher eingebunden? Betrachten Sie sie als adäquate Umsetzung der Bücher?

Absolut. Ich mochte sowohl Noomi Rapace als auch Rooney Mara in der Rolle der Lisbeth, aber am glücklichsten bin ich jetzt mit Clair Foy, die in der kommenden Film-Adaption meines ersten "Millennium"-Bands das Casting für sich entschieden hat. Die Dreharbeiten für "Das Mädchen im Spinnennetz" beginnen im Jänner. Der Kinostart ist für Oktober 2018 geplant. Ich glaube, das wird ein toller Film.

Sie entstammen einer berühmten Familie in Schweden – Ihr Vater Olof war ebenfalls erfolgreicher Schriftsteller und Chefredakteur der Tageszeitung Dagens Nyheter. Ist es schwierig, in diese Fußstapfen zu treten?

Ja, ich habe für lange Zeit im Schatten meines Vaters gelebt. Ich hatte und habe noch immer Angst, nicht gut genug zu sein. Aber die letzten Jahre haben meinem Selbstvertrauen als Autor gut getan. Viele Menschen – auch solche, die nie zuvor ein Buch in die Hand genommen hatten – haben meine Zlatan-Ibrahimovic-Biografie gelesen. So viele haben meine "Millennium"-Bände gelesen. Jeden Tag bekomme ich eMails mit ermutigenden Worten. Also bin ich an den Tagen, an denen ich gütig zu mir bin, zufrieden. Aber Zweifel werden immer bleiben.

Können Sie über die Zusammenarbeit mit Ibrahimovic erzählen? Er ist ja als ziemlich schwieriges Genie verschrieen.

Wir sind zweifellos sehr verschieden – ich der neurotische Intellektuelle und er der Macho-Superman. Aber komischerweise konnten wir sehr gut miteinander. Zlatan nahm das Buch sehr ernst und nahm sich endlos Zeit für Gespräche mit mir. Und ich habe ihn, so oft ich konnte, bei seinen Trainings, Matches und Reisen begleitet. Ja, wir mögen einander. Er hat Humor und ist absolut fokussiert auf das, was er tut. Als ich fertig war, hat er mein Buch sorgfältig gelesen und ich war happy, als er sagte, er findet es gut. Wir sind Freunde geblieben.

Wären Sie und Stieg Larsson Freunde gewesen?

Wir wären sehr verschieden gewesen. Ich bin in einer privilegierten Umgebung aufgewachsen, während Stiegs Familie kaum Geld hatte. Armut in der Kindheit prägt einen. Aber unser gemeinsamer Background als Journalisten hätte uns wohl zusammengeführt: Unsere Kompromisslosigkeit, was demokratische Werte anbelangt, unser Zorn auf Rechtsextremismus und unsere Leidenschaft für das Erzählen guter Geschichten. Ja, ich denke, wir hätten einander gerne gemocht.

Sind Sie ein Kulturpessimist?

Nein. Aber wir müssen es schon schätzen, in so reichen und sozial protektiven Staaten wie Schweden oder Österreich leben zu dürfen. Wir dürfen uns nicht zurücklehnen und unsere westlichen, demokratischen Privilegien als selbstverständlich nehmen. Es sind viele dunkle Wolken am Himmel. Die rechtspopulistischen Bewegungen sowohl in Schweden als auch in Österreich erschrecken und beunruhigen mich. Für komplexe gesellschaftliche Probleme gibt es nun mal keine einfachen Schlagwort-Lösungen. Wir müssen kontinuierlich für unsere menschlichen Werte kämpfen und dürfen diesen Leuten nicht zu viel Macht geben. Zum Glück dürfen wir ja alle unsere Meinung sagen.


David Lagercrantz (nach Stieg Larsson):

„Verfolgung“
Übersetzt von Ursel Allenstein.
Heyne Verlag.
480 Seiten.
23,70 Euro.

KURIER-Wertung: ****

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