Das Leben hat das Klo verstopft

Das Mariedl und seine Peinigerinnen: Stefanie Dvorak, Regina Fritsch und Barbara Petrisch (v. li.) bieten fantastisch-unheimliche Seelen-Einblicke: Man liebt Papst und  Hundi und quält seine Mitmenschen
Kritik: Werner Schwabs "Präsidentinnen" im Akademietheater – ein Triumph für Schauspiel und Regie.

Ein jeder hat seine Leiche im Keller und hier wird man das wörtlich nehmen. Das Mariedl wird geschlachtet und im Keller vergraben. Auch abgesehen davon: Werner Schwab hat für "Die Präsidentinnen" nicht viel erfunden – er hat bloß den Leuten aufs Maul geschaut. Nazivergangenheit und Kindesmissbrauch kaut man mit Leberkäs-Semmeln fort, spült mit reichlich Alkohol, und freut sich über einen ordentlichen Stuhlgang. Das ständig verstopfte Klo muss wer anderer putzen. Schlüsselszene: Die bigotte Erna zieht dem geschundenen Mariedl (Stefanie Dvorak) eine mit dem Gehstock über und erklärt, wie betroffen sie ist, wenn sie im Fernsehen das Leid der Welt sieht. Grandios von Regina Fritsch mit monströser, Ratten-ähnlicher Pelzhaube dargestellt, schwärmt sie vom Papst und träumt sich in eine Zukunft als Gattin des polnischen Fleischers selben Namens: Der strenggläubige Wojtyla hat Leberkäse im Dauerangebot und vereint somit Ernas Ideale von Kirche und Sparsamkeit. Als Kaffeefilter kann man Klopapier verwenden und apropos: wenn ihr Sohn, der Nichtsnutz, auf dem "Abort" sitzt, dann horcht sie, wie viele Blätter Klopapier er verbraucht.

Regisseur David Bösch inszeniert "Die Präsidentinnen" ganz im Sinne Werner Schwabs als Radikal-Reality. Man lacht angesichts der direkten Verdauungssprache viel, aber mit guter Unterhaltung hat das natürlich nichts zu tun. In dieser kalten Küche herrscht das nackte Grauen. Bühnenbildner Patrick Bannwart hat "Fuck Mother" an die Wand geschrieben, das "K" im ersten Wort ist zugleich ein Kreuz. Daneben hängt ein Waldheim-Bild (das Stück wurde 1990 uraufgeführt, mehrmals wird beteuert, es habe in Österreich, wenn überhaupt, "nur eine Handvoll Nazis gegeben") sowie Kinderbilder vom versoffenen Buben, dem undankbaren. Gleich darunter thront, zentral, das Klo. Schließlich spielen Stuhlgang und seine Konsequenzen hier eine Hauptrolle.

Frei von Verantwortung

In dieser finsteren Küche sitzen die Papst-verliebte Erna und die vulgäre Grete und bereden selbstgerecht die Welt. Sie sprechen sich frei von Verantwortung, reden sich aufs Schicksal aus. Dass aus den Kindern nichts geworden ist. Ernas Hermann, ein Nichtsnutz, Gretes Hannelore, nach Australien ausgewandert, in acht Jahren nur eine Postkarte. Dass ihr Mann die Tochter mit Gretes Wissen, ja, Billigung, missbraucht hat ("im Ehebett bestraft"), verdrängt sie erfolgreich. Barbara Petrisch zeigt sie überzeugend als aufgetakelte, in Ernas Worten, "Nazi-Hur’". Mit gespreizten Beinen sitzt sie da, kippt die Achterln, gewährt Einblicke in ihre Unterwäsche und schwärmt von der Lydi, ein Herz von einem Hundi (der Dackel wird, besonders perfider Angriff auf die österreichische Seele, am Ende erschlagen).

Um sie herum wieselt das arme Mariedl, das sich mit Kloputzen die Liebe Gottes und der Menschen erarbeiten will. Sie wird am Ende abgeschlachtet und doch zuletzt triumphieren. Eine Faschingsgirlande, befestigt an der Heiligenschein-ähnlichen Lampe, macht sie zur blutverschmierten Muttergottes. Ein Traum ist wahr geworden.

KURIER-Wertung:

Fazit: Bösch kann Schwab

Ein Schauspielerinnen-Traum Werner Schwabs „Präsidentinnen“ funktionieren auch 25 Jahre nach Waldheim und Kirchenskandal-Aufarbeitung bestens, werden nicht umsonst oft gezeigt. David Böschs Inszenierung beginnt als leise, bösartig-kichernde Pensionistinnen-Beckmesserei und endet fulminant in einer blutigen Schlacht – Ausstatter Patrick Bannwart trifft die Atmosphäre punktgenau. Regina Fritsch (Erna), Stefanie Dvorak (Mariedl) und Barbara Petrisch (Grete) liefern Maßarbeit. Uneingeschränkte Empfehlung!

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