Das Ende der NS-Zeit in Strobl: Party mit schönen Girls
Die Kur, die sich eigentlich „Gesundheitsvorsorge aktiv“ nennt, geht langsam zu Ende. Ihr Tratschpartner lernte unter anderem das Theraband kennen und hörte wohlmeinende Vorträge. Zum Beispiel einen hoch interessanten über Ernährung.
Es gab allerdings eine gewisse Diskrepanz zwischen den Empfehlungen der engagierten Diätologin (drei Eier pro Woche! Fleisch in Maßen!) und der Verköstigung. Denn im Kurhotel von Strobl werden Rindsbraten, Putenroulade, Schnitzel aufgetischt. Und Eier zum Frühstück. Sich zu kasteien, fällt da schwer. Zumal selbst beim Reduktionskost-Menü mittags wie abends steht: „Dessert vom Buffet“.
Die Devise lautete: Bewegung! Und so umrundete Ihr Tratschpartner gleich einmal den Hauskogel, den Bürglstein samt Bürglgut, das die Nazis, weil jüdischer Besitz, einkassiert haben: Hauptvilla, Gästehäuser, Waldhof, Almhütte, Bootshaus et cetera wurden, wie man im exzellenten Reiseführer „Im Schatten von Hitlers ,Alpenfestung‘“ (Czernin Verlag) liest, als Müttererholungsheim der Volkswohlfahrt genutzt. Auch Reichsführer SS Heinrich Himmler und andere NS-Bonzen wollten sich einquartieren.
Einst eine Niederlage
Der Rundweg dauert linksherum eine Stunde und rechtsherum eineinhalb. So steht es zumindest auf übereinander montierten Schildern. Ihr Tratschpartner benötigte (bei herrlichem Wetter) eine Dreiviertelstunde. Danach erforschte er den Ort, der, im Gegensatz zu St. Gilgen und St. Wolfgang, einen unheiligen Namen hat. Denn „Strobl“ bedeutet „strubbelig“, und Namensgeber war ein Struwwelpeter. Er hieß jedoch nicht Peter, sondern Hans. Und dieser Hans war kein Guck-in-die-Luft, sondern im 16. Jahrhundert ein hochfürstlicher Eisenniederleger.
Die Broschüre „Kultur in Strobl“ verwendet den Begriff so, als wäre ein Eisenniederleger das Normalste auf der Welt. Vielleicht sollte Oliver Baier seine Kabarettistenrunde fragen! Um Sie nicht darben zu lassen: Früher einmal wurde das Eisenerz aus Eisenerz auf dem Transport nach Salzburg in Strobl „niedergelegt“ und dann über den Abersee, der heute Wolfgangsee heißt, nach St. Gilgen verschifft. Der strubbelige Hans war also der Lagerverwalter.
Sein Konterfei ziert das Wappen von Strobl, das nach dem Bau der Kirche in St. Sigmund umbenannt werden sollte (was auf Ablehnung stieß). Und vor dem Gemeindeamt steht eine Bronzeplastik, die ihn darstellt. Weil es gerade renoviert wird und daher eingerüstet ist, kann man nur eine Erklärungstafel entdecken: Geschaffen wurde die Plastik von der Bildhauerin Eva Maria Mazzucco, 1925 in Strobl geboren.
Sie wirkte vornehmlich in Wien – und in etlichen Gemeindebauten gibt es Skulpturen von ihr. Beim Spaziergang durch Strobl stößt man auf einen lesenden Buben (vor der Volksschule), ein tanzendes Mädchen (vor der Hauptschule) und ein im Gras liegendes Paar, das auf den See schaut. Eine Familie quasi.
Laut Wikipedia habe Mazzucco auch die Büste von Theo Lingen geschaffen. Was aber nicht stimmt: Die dreidimensionale Karikatur stammt von Leopold Immervoll.
Der näselnde Schauspieler, 1903 in Hannover geboren, ist nicht ohne Grund Ehrenbürger von Strobl. Ab 1933, nach der Machtübergabe an Adolf Hitler in Deutschland, spielte Lingen fast nur mehr komische Rollen. Er wollte gefallen. Und er musste gefallen. Denn er war seit 1928 mit der in Hainfeld (Niederösterreich) geborenen Mezzosopranistin Marianne Zoff, der ersten Ehefrau von Bertolt Brecht, verheiratet – laut NS-Rassenlehre mit einer „Halbjüdin“. Doch Lingen brachte sie durch die schwere Zeit – und entging auch dem Berufsverbot, er kam sogar auf die „Gottbegnadeten-Liste“ des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda. 1939 erwarb er die Villa Wendlinger in Strobl 125 (gleich neben den Geleisen der ehemaligen Ischlerbahn), fürderhin sein Rückzugsort. Anfang Mai 1945 – die SS bewachte damals im Ort unter anderem König Leopold III. von Belgien – wurde er gar zum Helden: Als Teil einer Widerstandsbewegung setzte er Hans Girbl, den Nazi-Bürgermeister, Schachmatt; dann radelte er mit seinem Freund Georg Fürstenberg nach St. Gilgen und bat die US-Truppen weiter vorzurücken. Der Marschbefehl sah dies allerdings nicht vor. Theo Lingen überredete den Kommandanten mit einem Trick: Er stellte eine „Party mit hübschen Girls“ in Aussicht.
Unmittelbar nach der Befreiung soll der Schauspieler für einen Tag (oder deren drei) provisorischer Bürgermeister gewesen sein; belegen lässt sich dies aber nicht. Sicher ist nur, dass Lingen die Wahl – bereits im Juni 1945 – mitorganisierte.
1960 verkaufte er die Villa und übersiedelte mit seiner Frau ganz nach Wien. Er starb 1978 und erhielt ein Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof. Auf der Grabplatte des Komödianten soll als Sterbejahr 1979 gestanden haben; dies wurde angeblich erst 2012 korrigiert.
Halbgott mit Berufsverbot
Wenige Hundert Meter von der Büste entfernt entdeckt man eine weitere. Sie stellt Emil Jannings, den allerersten Oscar-Preisträger, dar. 1929, nach seiner Rückkehr aus Hollywood, kaufte der Schweizer Halbgott des Theaters ein Seegrundstück in Gschwendt bei Strobl. Dort starb er am 2. Jänner 1950 mit 65 Jahren an Leberkrebs.
Am Sockel der Büste wurde 2022 eine Zusatztafel angebracht: „Kritisch betrachtet werden muss seine Mitwirkung an NS-Propagandafilmen sowie die Aufnahme in die ,Gottbegnadeten‘-Liste. Nach dem Sturz der Nationalsozialisten wurde er mit einem Berufsverbot belegt.“
Selbst in Ischl gab man sich unlängst einen Ruck – und ergänzte mit einer Zusatztafel das Straßenschild des nach Franz Stelzhamer, dem Verfasser der OÖ-Landeshymne, benannten Kais: „Viele seiner Texte sind geprägt von antisemitischen Stereotypen.“ Strobl und Ischl haben also vielleicht eine Vorbildwirkung. Denn in vielen anderen Städten sträubt man sich weiter gegen Kontextualisierungen. Dass auf dem Flohmarkt von Strobl auch ein Nazi-Bild aus 1941 als Rarität feilgeboten wurde, betrübte jedoch.
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