Hatten Sie als Kind eine Lieblingsgeschichte, ein Lieblingsmärchen?
Mein Lieblingsbuch war die Geschichte von der Schlange Pitala, die verliebt ist in bunte Sachen und alles Bunte frisst, weil ihr Körper dadurch immer farbenfroher wird. Allerdings verwandelt sich die Welt um sie herum in ein Schwarz-Weiß-Bild, und es dauert eine Weile, bis die Schlange versteht, dass sie Schaden anrichtet. Leider scheint es das Buch im Handel nicht mehr zu geben, ich habe immer wieder recherchiert und es nirgendwo gefunden.
In Ihrer Geschichte bleiben die Geschenke aus. Viele können sich das nicht mehr vorstellen – aus Kindersicht ist es das Fest des maximalen Geschenkekonsums. Haben wir verlernt, um was es zu Weihnachten eigentlich geht?
Mir tut es leid, dass Weihnachten in vielen Fällen nur noch ein Konsumfest ist. Bei uns ist das auch so. Natürlich wird auch gebastelt und gebacken und gesungen, aber das Wichtigste sind und bleiben die Geschenke für die Kinder. Ich finde auch, dass wir viel zu viel schenken. Aber was soll man machen? Die Erwartungen sind hoch und man möchte die Kinder nicht enttäuschen. So kommt es, dass man sich jedes Weihnachten wieder schwer ins Zeug legt, damit es viele Päckchen zum Auspacken gibt.
Was bedeutet Weihnachten für Sie? Spielt Religion eine Rolle?
Ich bin kein religiöser Mensch, und für mich persönlich hat Weihnachten vor allem die Bedeutung einer schönen Kindheitserinnerung. Weil ich als Kind so glücklich war zu Weihnachten und so fest ans Christkind geglaubt habe, möchte ich, dass meine Kinder die gleichen schönen Erfahrungen haben.
In Ihrem Buch ist das Christkind alleine, es ist ihm kalt und es ist krank. Beklagen Sie damit den Verlust des eigentlichen Gedankens von Weihnachten?
Nein, das ist einfach der Ausgangspunkt der Geschichte. Das Christkind ist verunglückt und weiß sich nicht zu helfen. Ich fand es spannend, aus dem Christkind ein echtes fühlendes Wesen zu machen. In den Geschichten hat es ja eigentlich keine wirkliche Persönlichkeit. In meiner Geschichte ist das Christkind ein richtiges Kind, und eigentlich ziemlich hilflos und allein.
Weihnachtsmann versus Christkind. Was haben Sie zu dieser Debatte beizutragen?
Für mich ist das gar keine Debatte, sondern eher eine Familientradition. Bei uns kam früher das Christkind. Heute leben wir in einer Region, wo die meisten Familien vom Weihnachtsmann besucht werden. Das existiert beides friedlich nebeneinander, aber die Christkind-Familien sind eindeutig in der Minderheit. Es ist lustig, wie sehr man da von der eigenen Kindheit geprägt ist. Mir sagt der Weihnachtsmann gar nichts und ich fände es furchtbar, wenn er zu uns käme. Das Christkind hingegen ist für mich ein zauberhaftes, wunderbares Wesen.
Wie viel haben Ihre beiden Kinder zum Buch beigetragen?
Sie haben beim Ausdenken der Geschichte schon geholfen. Und vor allem bei den Bildern waren sie streng und wollten alles auf eine bestimmte Weise haben. Glücklicherweise ist die Illustratorin Lena so eine tolle Frau und ist auch den Vorschlägen der Kinder mit absoluter Offenheit begegnet.
Wie kritisch waren Ihre Kinder?
In einer Zoom-Konferenz hatten meine Kinder Gelegenheit, ihre Meinung zu allen Bildern (von Lena Hesse, Anm.) zu sagen. Die beiden sind 5 und 8, also genau im Alter von Kindern, für die dieses Buch gemacht ist. Ich fand es toll, dass Lena die Vorschläge berücksichtigt hat. Wie die Figuren im Buch schauen sollen, was für Kleidung sie anhaben, ob man sie voneinander unterscheiden kann. Nichts darf gruselig oder bösartig aussehen, da sind meine Kinder ganz streng. Wenn eine Figur die Augen oder den Mund zu weit aufreißt, kann das schon ein Problem sein. Ich war als Kind auch so, Bilder haben mir schnell Angst gemacht. Deswegen bin ich jetzt glücklich, dass „Alle Jahre wieder“ ein Buch geworden ist, das Kinder mit reinem Vergnügen anschauen können.
Was können Eltern von dieser Geschichte lernen?
Ich finde, Eltern sollten vor allem jede Gelegenheit nutzen, ihren Kindern etwas vorzulesen und gemeinsam Bilder anzuschauen. Man kommt sich so nahe dabei und es ist ein gemeinsames Vergnügen. Es macht Freude zu sehen, was für tolle Ideen die Kinder haben, was ihnen zu den Bildern einfällt oder wie sie eine Geschichte weiterspinnen. Eigentlich können Eltern von ihren Kindern lernen, Geschichten zu lieben.
INFOS: Juli Zeh wurde 1974 in Bonn geboren. Seit 2001 hat sie zahlreiche Romane, Kurzgeschichten, Theaterstücke, Essays sowie zwei Kinderbücher und ein Bilderbuch veröffentlicht. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. Juli Zeh lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Berlin.
Ihre Weihnachtsgeschichte „Alle Jahre wieder“ ist im Carlsen Verlag erschienen. Momentan stellt Juli Zeh gerade ihren neuen Roman fertig, dieses Mal wieder für Erwachsene. Er heißt „Über Menschen“ und wird im nächsten Frühjahr erscheinen
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