1899 wagte sich der damals junge Hugo von Hofmannsthal an eine Dramatisierung von Hoffmanns wundersamer Erzählung. Er kam zunächst nicht über den ersten Akt hinaus. Die einzelnen Teile wurden zwischen 1900 und 1932 verstreut publiziert, erst 1946 soll „Das Bergwerk zu Falun“ in einer vollständigen Fassung herausgekommen sein.
Drei Jahre später, 1949, folgte in Konstanz die Uraufführung. Der Erfolg dürfte ausgeblieben sein. Gleiches gilt für die Vertonung von Rudolf Wagner-Régeny, die 1961 bei den Salzburger Festspielen zu sehen war (und gerade einmal drei Aufführungen erlebte).
Und noch einmal sechs Jahrzehnte später, im Sommer 2021, zeigen die Festspiele das Stück als Eigenproduktion. Immerhin gilt es, anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums den Festspielgründern zu gedenken. Schauspielchefin Bettina Hering gewann für das harte Stück Arbeit den Schweizer Regisseur Jossi Wieler.
Der Nöck am Wassersturz
Ja, ein hartes Stück Arbeit. Denn allein das Lesen von Hofmannsthals „archaischer“ Kunstsprache kostet Überwindung. Pars pro toto: „Höhlichte Täler, dran das Elchwild äst, / Da sitzt der Nöck am Wassersturz und singt …“ Jossi Wieler und Dramaturgin Marion Tiedtke taten das einzig Vernünftige: Sie strichen den Text radikal zusammen (der „Nöck am Wassersturz“ überlebte aber), reduzierten die Zahl der Figuren von gut zwei Duzend auf zehn, verkörpert von sechs Schauspielern, und ordneten Textpassagen anders zu.
Von Traum und Deutung ist nicht mehr viel übrig geblieben: Auf die ätzend hochtrabende Sprache kontert Wieler mit Abstraktion. „Das Bergwerk zu Falun“ ist nun eine Parabel über einen Menschen, der immer mehr in die Depression abrutscht – und der realen Welt abhanden kommt. Dieser Elis bleibt nur mehr auf einer metaphysischen Ebene mit seiner Braut, die nun Anna heißt, verbunden.
Zauberbergwerk gibt es im Salzburger Landestheater keines: Bühnenbildner Muriel Gerstner hat Ytong-Ziegel, genau genommen graue „Hohlblocksteine“, zu einer nebelverhangenen Trümmerlandschaft drapiert. Die Erklärung findet sich im Programmheft: Hugo von Hofmannsthal hielt im November 1899 fest, dass er die Akte drei bis fünf völlig umarbeiten musste. „So stehe ich wieder auf unsicheren Gerüsten zwischen Schutt, Balken und unfertigen Ziegelmauern.“
Nach und nach erheben sich Gestalten, darunter der Fischer und seine Frau, die ihren im Koma liegenden Sohn bedauern: Dieser lebe und sterbe nicht. Genau darum wird es die insgesamt Eindreiviertel Stunden gehen: um einen Untoten, eben Torbern, der sterben will, und daher für die Bergkönigin einen Ersatzmann braucht.
Mit einem Krachen und im gleißenden Licht bietet sich Elis an. Er sei ein „Neriker“ (diese Wortfindung von Hofmannsthal hat keinen Eingang in den Wortschatz gefunden), was „Melancholiker“ bedeutet (so die wohltuend prosaische Übertitelung auf Englisch). Und er trägt das gleiche, ärmellose Gewand in Gothic-Schwarz (von Anja Rabes) wie der alte Torbern.
Marcel Kohler sieht ein bisschen wie Robert Smith von The Cure (in jungen Jahren) aus, er macht ein bisschen auf Lars Eidinger. Und mit ein bisschen gutem Willen kann man Verbindungen zum „Jedermann“ erkennen: Der Torbern holt den Elis – und die gerne breitbeinig sitzende Lea Ruckpaul als im Leben stehende Buhlschaft folgt ihrem Geliebten nicht in den Tod.
Zunächst aber erzählt deren Großmutter die wahre Geschichte in der Version von Johann Peter Hebel. In zwei Etappen, ohne das versöhnliche Ende, aber mit Ausschmückungen: die geschichtlichen Fakten werden um Ereignisse bis 1919, also inklusive des ersten Weltkriegs, ergänzt. Motto: „It was always burning, since the world’s been turning“. Hildegard Schmahl setzt damit eines der wenigen Glanzlichter. Was auch nicht so schwer ist. Denn sie zitiert ja Hebel und nicht Hofmannsthal.
Alsdann bringt Elis dem zaudernden Bergwerksbesitzer Dahlsjö (Edmund Telgenkämper) und dessen Familie Glück. Eifrig wird die kreisrunde Mauer an der Kante der Drehbühne aufgeschichtet. Dann taucht die harsche Bergkönigin auf und bringt alles zum Einsturz. Warum sie auf Elis eine derartige Faszination ausübt, vermag Sylvana Krappatsch keine Sekunde lang zu vermitteln.
André Jung trägt seine Torbern-Monologe vor, als handle es sich um bedeutungsschwere Lyrik, Leidensmann Marcel Kohler präsentiert des Kaisers neue Kleider, und das Publikum spendete freundlichen Applaus. Diese Inszenierung wird, auch wenn Jossi Wieler alles versuchte, in der Versenkung verschwinden (wie Elis zum Schluss). Und in 50 Jahren wird dann der nächste Wiederbelebungsversuch gestartet.
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