Und nun ging es erneut um diesen Ego-Shooter, der mit den Füßen zuerst und ziemlich deformiert zur Welt kam. Regisseurin Karin Henkel begnügte sich aber nicht mit „Richard III.“, dessen letzte Worte der verzweifelte Ruf „Ein Pferd! Ein Pferd! Mein Königreich für ein Pferd!“ sind. Denn ihre Inszenierung musste aufgrund der Pandemie um ein Jahr verschoben werden. Und so ergänzte sie den Aufstieg und Fall eines Usurpators um dessen im dritten Teil von „Heinrich VI.“ abgehandelte Jugend zu „Richard the Kid & the King“.
Das ist durchaus sinnstiftend. Denn Richard formuliert bereits die Krone als sein Ziel. Und zum Schluss erdolcht er König Heinrich, nachdem ihn dieser ordentlich in Rage gebracht hatte.
Die Fassung von Karin Henkel zusammen mit Sybille Meier und Andreas Schwieter „nach Shakespeare“ erinnert mitunter an „Schlachten!“ – was kaum verwundert. Denn eingearbeitet wurden Passagen aus dem Teil „Eddy the King“. Der Text hat daher eine gewisse Schnoddrigkeit, zudem wurden Slogans und hohle Phrasen der Gegenwart (mehrfach von Trump) integriert. Fazit: Die Instrumente sind immer die gleichen. Es geht um Manipulation, Intrigen und Lügen. Das „Spiel“ kann aber nur gelingen, wenn es Opportunisten gibt – und die Zivilgesellschaft feige ist.
Auch von der Ästhetik her knüpft die Koproduktion mit dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg an „Schlachten!“ an: Wieder schuf Karin Brack das Bühnenbild. Und wieder gelang ihr eine klare „Setzung“: Über dem Spielfeld, einer schwarzen, schräg gestellten Scheibe, hängen „Planeten“ – große und kleine Kugeln. Sie sind sanft in Bewegung und leuchten malerisch. Die Welt ist, was der Fall ist: eine Plattform für eine Versuchsanordnung.
Struwwelpeter-Gang
Das Personal hat Henkel auf ein Minimum reduziert. Kristof Van Boven verkörpert grazil, mitunter tuntig alle Lancaster-Rollen: Heinrich VI., dessen herrische Frau Margaretha, Prinz Edward, Lady Anne – und zum Schluss auch Richmond. Zwischen den Figuren changierend, erzählt er nach, was bisher geschah. Für die neue „Staffel“ braucht es also wirklich kein Vorwissen.
Die Familie York besteht aus den degenerierten Brüdern Eddy, Rich und Georgie. Eingekleidet von Klaus Bruns, sind sie eine Struwwelpeter-Gang in Tarnmuster-Kaputzenjacken. Sie würfeln Englisch und Deutsch lässig durcheinander (Bildungsbürger schaudert es). Bettina Stucky ist als George in erster Linie dümmlich, der abgedriftete Eddy der Kate Strong nun irrlichternder König.
Aber Rich findet keinen Gefallen am „schlaffen Frieden“. Lina Beckmann brilliert von Beginn an: Sie macht das Publikum zum Komplizen, spielt das Unschuldslamm, wird zur Bestie, missbraucht Mitglieder des Kronrats und das Security-Personal (darunter Paul Herwig als übereifriger Karrierist im Nazi-Mantel) als Werkzeuge. Sie ist als Richard nicht von vornherein der Krüppel, also das gemobbte Opfer: Sie bandagiert sich selbst ein steifes Bein und einen lahmen Arm.
Wurde diese Quasimodo-Kreatur nur deshalb ein mordendes Monster, weil es sich nach der Liebe der Mutter gesehnt, aber diese nie bekommen hat? Schon früh in der vierstündigen Inszenierung auf der Perner-Insel (inklusive Pause) will das missratene Kind ein Pferd. Und dann reitet es mit einer schieren Begeisterung auf einem Schaukelpferd – in Zeitlupe: „Mama, guck mal, was ich kann!“
Und er kann noch viel mehr: Er wechselt auf einen Tretroller, tauscht das Messer gegen ein Maschinengewehr. Und als Horror-Clown – Arvild J. Baud liefert zu diesem Splattermovie einen exzellenten „Soundtrack“ – zählt er immer erst bis 20, bis er tötet.
Die Rasanz bis zur Pause (aufgrund der Raffungen) kann Karin Henkel auch mit Slapstick-Einlagen nicht ganz durchhalten. Schon wieder erobert Rich eine Frau, die ihn hasst, nun eben mit einem Elvis-Zitat. Lina Beckmann, die 2017 als Rose Bernd in Salzburg begeisterte (Inszenierung ebenfalls von Karin Henkel) wurde bereits in der Pause bejubelt. Zum Schluss gab es Standing Ovations.
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