China ohne Grammeln

Christoph Ransmayr
Christoph Ransmayr und "Cox oder Der Lauf der Zeit" meditieren über die Ewigkeit.

Die Langsamkeit ist ein Luxus, immer mehr ist sie das, und wenn man Christoph Ransmayrs "Cox oder Der Lauf der Zeit" liest (und liest und liest – langsam, damit man im China des 18. Jahrhunderts verweilen kann), so könnte man sich fast einbilden, die Zeit zu besitzen.

Schon der erste Satz signalisiert: Ransmayr wendet sich nicht an ein "elitäres" Publikum, er macht es uns diesmal einfach, er will alle.

Und das geht so:

"Cox erreichte das chinesische Festland unter schlaffen Segeln am Morgen jenes Oktobertages, an dem Qiánlóng, der mächtigste Mann der Welt und Kaiser von China, siebenundzwanzig Steuerbeamten und Wertpapierhändlern die Nasen abschneiden ließ."

Das Abenteuer zum Innehalten hat begonnen. Immer entstehen Ransmayrs Bücher durchs Innehalten und Betrachten. Es sind Versuche, gegen das Gegröle "da draußen" immun zu machen.

Einiges an "Cox" ist wahr. Kaiser Qiánlóng war Dichter und Sammler von Uhren. Aber das kann uns egal sein.

Im Roman lässt er den Londoner Uhrmacher und Automatenbauer Alister Cox und seine drei besten Männer übers Meer kommen.

(In einer Buchstabensuppe hatte Ransmayr als Kind schreiben gelernt. An die Buchstaben MEER erinnert er sich noch gut: In der Suppe bannte er erstmals, was die Schiffen fortträgt ...)

Atem und Asche

Der Gottkaiser will kein Spielzeug. Eine Uhr wünscht er sich, die in wechselndem Tempo "geht" – im Tempo von Kindern; im Tempo von Todgeweihten.

Manchmal steht die Zeit ja, manchmal rast sie ... Cox und Ransmayr erfinden eine Uhr, die Atem braucht, um in Schwung zu kommen.

Und eine Uhr, die Asche braucht.

Fantastische Ideen. Der Engländer hat schon vor Jahren in London ins Grab seiner Tochter Röhrchen gelegt, um mit der Wärme ihres Zerfalls Bewegung aufs Ziffernblatt zu bringen. Eine Lebenslüge gewissermaßen. Eine Konkubine des Kaisers erinnert ihn an die Liebe.

Einmal aufziehen

Das alles waren Aufwärmübungen im Vergleich zu dem, was jetzt kommt – was kommen muss: Der Kaiser möchte das unmögliche Perpetuum mobile. Die Uhr aller Uhren. Einmal aufziehen für die Ewigkeit.

Aber kann einer, der sich als "Herr über zehntausend Jahre" fühlt, dann überhaupt noch über die Zeit herrschen?

Die Gedanken, die uns animieren sollen, sind in Seidenpapier gewickelt.

Christoph Ransmayr macht nicht viele Worte. Was er sagt, ist schön – brutal manchmal und schön. Es rauscht das Schmelzwassers, einmal hört man die symphonische Musik der Bambusblätter.

Meditation.

Und ist man damit fertig, weiß man:

Ewig Bestand soll nur das Erzählen haben; etwas fordernder könnte es sein ...

Die Engländer haben einen Übersetzer, der heißt Joseph Kiang. Das ist Ransmayrs Dankeschön an seinen Wiener Freund Joseph Kiang, der ihm die Verbotene Stadt zeigte ... und das muss wohl jener Joseph Kiang aus dem Servitenviertel sein, der ein kleines Restaurant führt. Dort gibt es zum Wein chinesisches Fladenbrot mit Grammeln. Wer das kennt, muss beim Lesen sehr aufpassen, nicht ständig bei dem Namen "Kiang" an Grammeln zu denken.

Es würde die Stimmung im Buch zerstören.

(Aber gut schmecken, überhaupt zu den Kutteln)!

Christoph Ransmayr:
Cox oder
Der Lauf der Zeit“
S. Fischer. 304 Seiten. 22,70 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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