Er singt sogar an seinem 90er

Er singt sogar an seinem 90er
Der legendäre Chansonnier ist wieder einmal auf Abschiedstournee.

Wenn er "For me, formidable" schmettert, dann wird der 161 Zentimeter kleine Mann zum Riesen. "La Bohème", "La Mamma" oder "Emmenez-moi" heißen seine größten Hits. Morgen Abend wird er sie wieder singen. Denn Charles Aznavour feiert seinen Geburtstag nicht. Am Abend seines 90. Geburtstags steht er auf der Bühne in Berlin und singt, wie es das schon seit ganzes Leben macht.

Zwei Tage später tritt er in Frankfurt auf und weiter geht die Europatournee des Unermüdlichen nach London, Barcelona und Rom, leider nicht nach Österreich. Ob das seine Abschiedstournee ist? Nun, Aznavour gibt seit 2006 Abschiedskonzerte.

Der Bild verriet er jetzt, dass er seine Fitness Joghurt und Bananen verdankt. Vielleicht hat seine Weigerung, in Pension zu gehen, aber auch damit zu tun, dass er, wie er oft sagt, eben nichts anderes kennt: Schon als Kind unterstützte Aznavour seine Familie mit Singen, seit mehr als 70 Jahren ist er ein Star, die Bühne ist sein Zuhause.

Die Augenbrauen

Seine Haare sind mittlerweile schlohweiß, sein Markenzeichen, die markanten Augenbrauen, die ihn, gemeinsam mit den traurigen Augen und der Dackelfalten-Stirn, immer so bekümmert aussehen lassen, sind noch immer schwarz. Stimmlich ein Energiebündel, sieht er doch so aus, als müsse man ihn beschützen – wie in François Truffauts Film "Schießen Sie auf den Pianisten", wo er den bemitleidenswerten Barpianisten Charlie Kohler spielt, der Pech in der Liebe und im Spiel hat.

Er singt sogar an seinem 90er
epa03989771 The 89-year-old French singer and composer Charles Aznavour, speaks during an interview one day before his performance in the Heineken Music Hall in Amsterdam, Netherlands, 13 December 2013. The singer has sold over 100 million albums and wrote more than 1,200 songs. EPA/EVERT ELZINGA
Charles Aznavour, eigentlich Schahnur Waghinak Asnawurjan, wurde am 22. Mai 1924 als Kind armenischer Einwanderer in Paris geboren. Für sein Herkunftsland Armenien hat er sich immer eingesetzt, vertritt das Land auch bei der UNICEF. Die Armenier sind sehr stolz auf ihn, haben ihm zum Dank die Staatsbürgerschaft verliehen und in der Hauptstadt Eriwan ein Museum nach ihm benannt.

Charles Aznavour, vom Time Magazine einst zum "Entertainer des Jahrhunderts" geadelt, ist, neben der 87-jährigen Juliette Gréco, der letzte der ganz großen französischen Chansonniers. Yves Montand, Gilbert Bécaud, Georges Brassens, Serge Gainsbourg leben nicht mehr, zuletzt verließen Serge Reggiani (2004) und Henri Salvador (2008) die Show-Bühne für immer.

Gefördert wurde Aznavour einst, wie viele seiner Kollegen, von einer anderen sehr kleinen, ganz Großen: Édith Piaf. Sie nahm ihn mit auf Tournee und verhalf ihm zu einer Karriere, die ihn zu einem der berühmtesten Chansonniers Frankreichs machte. Obwohl Aznavour ja beinahe gar kein Franzose geworden wäre: Seine Eltern waren in Frankreich nur auf der Durchreise, warteten auf ein Visum in die USA.

Ist es vorstellbar, dass Aznavour, der Protagonist dieses so durch und durch französischen Genres des Chansons, ein amerikanischer Sänger geworden wäre? Was wäre dann aus dem herrlichen Hadern "Formidable" geworden, in dem er "La Langue de Shakespeare", die "Sprache Shakespeares", so wunderbar verballhornt?

Der Franzosen-Schmäh

Umgekehrt, wenn Amerikaner versuchen, Französisch zu sprechen, klingt das weniger charmant. Was auch für die Deutschen gilt. Aznavour sang viele seiner Chansons, von denen einige haarscharf am Schlager vorbeischrammen, auch auf Deutsch. "Du lässt Dich gehen" ("Tu t’laisses aller") klingt natürlich eher nach "du lässt disch gen" und man liebt ihn dafür.

Der Franzosen-Schmäh allein ist es jedoch nicht, der seinen Ruhm ausmacht. Aznavour ist nicht nur ein formidabler Sänger, sondern einer der wunderbarsten Musiker und Chanson-Autoren überhaupt. Die Geschichten, die er erzählt, vergisst man nicht. Etwa jene von gescheiterten Künstler in "Je m'voyais déjà" oder die traurige Gastarbeiter-Ballade "Emmenez-Moi." Und bereits 1972 setzte sich der politisch Engagierte mit "Comme ils disent" für die Rechte der Homosexuellen ein. Aznavour gehört auch zu den französischen Prominenten, die seit Langem einen neuen Text für die blutige Nationalhymne "Marseillaise" fordern.

Ausruhen auf dem, was er geleistet hat, kommt jedenfalls gar nicht in Frage, kündigte er nun in der Zeit an: "Man muss sich ständig weiterentwickeln, (...) seinem Publikum entgegengehen, aber man darf ihm nie nur das geben, was es erwartet. Sonst schlafen die Leute einem noch ein." Man möchte ihm antworten: Keine Sorge.

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