Das Werk hat für Sie große persönliche Bedeutung, stimmt’s?
„Carmen“ war der Grund, weshalb ich Opernsängerin geworden bin. Meine Mama hat tatsächlich das Video gefunden, in dem ich mit drei Jahren vor dem Fernseher stehe und fasziniert bin von dieser Musik, von dieser Frau, von dieser Geschichte. Das ist das Alter, in dem Kinder Interessen, Obsessionen entwickeln! Bei mir war das genau zum richtigen Zeitpunkt die „Carmen“, und das ist bis heute geblieben.
Macht es das dann nicht schwerer, die Rolle auf die Bühne zu bringen – mit all den Gefühlen, die Sie ihr entgegenbringen?
Das ist für mich ein Riesending. Aber ich glaube, es macht es einfacher, weil ich mich wirklich mein ganzes Leben lang mit dem Material beschäftigt habe. Ich weiß nicht, wie viele Vorstellungen von „Carmen“ ich gesehen habe! Ich hatte am Anfang der Produktion Angst, dass ich ein zu fixes Bild davon habe. Normalerweise gehe ich gerne in eine erste Probe als weiße Fläche, damit die Regisseurin und der Dirigent einfach arbeiten können. Aber gerade „Carmen“ ist eine Oper, die so viele Interpretationsmöglichkeiten bietet – das macht es letztlich einfacher.
Die Oper stellt aber ja auch Interpretationsherausforderungen: Hier herrscht größte Klischeegefahr. Und es stecken eigentlich sehr heutige Geschichten – soziale Verhältnisse, Machtverhältnisse – im Libretto, die gern mit den Hits überspielt werden.
Es gibt genug Opern, bei denen man als Mensch von heute wirklich Schwierigkeiten mit dem Libretto haben muss. Aber in „Carmen“ ist einfach alles drin. Das ist ja das Geniale von Bizet – und wohl der Grund, warum die Oper anfangs so katastrophal unterging. „Carmen“ hat überhaupt keinen Erfolg gehabt! Sie birgt Kritik an sehr vielen Sachen, die in unserer Gesellschaft immer noch sehr problematisch sind.
Welche?
Dieser Frau wird in vier Akten das Leben ausgesaugt. Ihre anfängliche Spielfreude macht diesen Untergang noch so viel schlimmer. Der Frau, die so sehr das Leben und die Liebe liebt, nimmt dieser Typ einfach alles weg!
Am Schluss auch das Leben. Es muss, wie so oft in der Oper, eine Frau sterben, um eine Story zu erzählen.
Ja, das ist ein Thema, über das wir auch mit Lotte sehr viel gesprochen haben, das sie auch sehr stark beschäftigt. Aber für mich fühlt es sich ein bisschen anders an – endlich darf ein Mezzo sterben, das dürfen sonst nur Sopranistinnen! (lacht) Das ist für Mezzos schon eine wahnsinnig wichtige Rolle. Endlich mal Primadonna zu sein! Bizet hat die tiefere Stimme sicher auch ausgewählt, weil Soprane sehr mit Adel assoziiert sind. Carmen ist aus der Arbeiterschicht, aus dem Volk. Und es hat auch etwas mit Erotik zu tun.
Wie ist denn nun Ihre „Carmen“?
Ich bin überzeugt, dass wir es aus den Klischees heraus geschafft haben. Lotte erzählt eine Geschichte, in der Carmen selber realisiert, dass sie im Theater ist, dass sie eine Opernfigur ist, die versucht, der Tradition, dass Frauen in der Oper immer sterben müssen, zu entkommen. Spoiler: Das funktioniert nicht. Sie realisiert mehr und mehr, dass sie eigentlich gar keine Macht hat. Das Opernpublikum will sie einfach sterben sehen. Das letzte Duett zerreißt einem das Herz.
Ist da etwas verändert oder dazukomponiert, wie zuletzt bei „La Rondine“?
Nein! Wir haben die Oper genommen, so wie sie ist. Es ist aber eben Theater im Theater.
Wie verändern sich da die anderen Rollen?
Ich habe bei „Carmen“ immer Sorge, dass das Publikum am Schluss Mitleid mit Don José hat. So nach dem Motto: Ach, der Arme, er hat sie ja so geliebt und sie hat ihn einfach nicht gewollt. Wenn das herauskäme, hätten wir sehr viel falsch gemacht. Don José verkörpert ja im Grunde genommen diesen durchschnittlichen, unscheinbaren Typen, der kein Nein akzeptieren kann, sich immer mehr in einen Wahn hineinsteigert und die Frau schließlich ermordet. Femizid ist ein gesellschaftliches Problem und kommt auch heute noch viel zu oft vor.
Eine Story, die bedrückend oft real wird.
Ja, das ist ein Riesenproblem. Und hat auch damit zu tun, wie sich in unserer Gesellschaft Männlichkeit darstellt. Da ist es besonders spannend, welche unterschiedlichen Männertypen Bizet schon im 19. Jahrhundert entwarf! Das ist so modern, als wäre es für unsere Zeit geschrieben.
Apropos unterschiedliche Typen – welche Rolle spielen denn Äußerlichkeiten auf der Opernbühne?
Ich habe Elīna Garanča die Carmen singen hören – und gesehen. Viele haben gesagt, das kann nicht gehen – eine so große, kühle, blonde Carmen! Aber ihre Performance ist längst legendär. An der Volksoper sind wir drei Carmens, die komplett unterschiedlich aussehen und bestimmte Body-Typen haben. Darüber habe ich mir natürlich Gedanken gemacht. Annelie Sophie Müller zum Beispiel ist eine wahnsinnig tolle Carmen. Aber wenn sie als kleine, zarte, weiße Frau einen Mann auf der Bühne wegschubst, zeigt das ein ganz anderes Bild als wenn ich, die gleich groß ist wie er und dick und schwarz, einen Mann auf der Bühne wegschubse. Es erzählt dem Publikum etwas ganz anderes. Das sind Body-Politics, denen wir uns bewusst sein müssen. Und das habe ich immer wieder reflektiert, auch mit Lotte gemeinsam: Es gibt manche Sachen, die ich einfach nicht machen kann, wenn ich weiterhin Sympathieträgerin sein will.
Und, wie ist es eigentlich für Sie, die „Carmen“ endlich zu singen?
Ich habe viel Glück gehabt im Leben, immer wieder. Aber das ist das größte. Bisher. (lacht)