Cannes: Jubel um Haneke-Film

Cannes: Jubel um Haneke-Film
Michael Hanekes "Amour" mit Jean-Louis Trintignant ist ein grandioses, zärtliches und unsentimentales Porträt eines alten Ehepaares.

Ich habe in über hundert Filmen mitgespielt", sagt Jean-Louis Trintignant auf der Pressekonferenz in Cannes: "Aber dieser Film von Michael Haneke ist der erste, in dem ich mir gerne selbst zusehe. Ich weiß, das klingt seltsam, aber es ist die volle Wahrheit." Man glaubt es ihm gerne, dem großen alten Mann des französischen Kinos. Sein Spiel in "Amour", Michael Hanekes wunderbarer Liebesstudie eines alten Musiker-Ehepaares, ist von großer Klarheit und bewundernswerter Hingabe. Als Ehemann einer Frau, die nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt ist und völlig von ihm abhängig wird, macht Trintignant eine große Liebe im Angesicht des Verfalls fühlbar. Auch seine Schauspielpartnerin, die zartgesichtige Emmanuelle Riva ("Hiroshima, Mon Amour"), garantiert mit ihrer nuancierten, unsentimentalen Darstellung die starke Strahlkraft von Hanekes implodierendem Drama. "Ab einem gewissen Alter muss man sich damit abfinden, dass Menschen, die einem nahestehen, leiden und sterben", erklärt Haneke sein Interesse an dem Thema: "Das ist eine schwierige Erfahrung, die ich selbst auch in meiner Familie gemacht habe."

 

Tanzschritt

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Doch deswegen ist "Amour" noch lange kein deprimierendes Sterbedrama. Vielmehr spannt Haneke das Elend des Alters in den Rahmen einer tiefen Liebesbeziehungen, deren unterschiedliche Facetten noch einmal zum Leuchten gebracht werden, ehe sie verlischt. Wenn beispielsweise Anne nach ihrem ersten Schlaganfall im Rollstuhl nach Hause kommt, hilft ihr Mann ihr in einen Sessel. Diese Szene ist von unglaublicher Zartheit und Schönheit, denn Trintignant umarmt seine Frau und zieht sie zu sich herauf. In einer körperlichen Nähe wie vielleicht schon lange nicht mehr, hält sich das alte Paar umklammert und bewegt sich in kleinen Schritten zum Sessel. Diese Bewegung sieht aus, als würden zwei Liebende vorsichtig einen gemeinsamen Tanzschritt üben und ist in ihrer Behutsamkeit herzzerreißend.

Mit Annes zunehmendem Verfall zieht sich die Welt mehr und mehr zusammen. Doch obwohl beinahe der gesamte Film in einigen wenigen Räumen der Wohnung stattfindet, reißt der Einfallsreichtum an Kameraeinstellungen nie ab. Immer wieder eröffnen sich überraschende Blickwinkel und machen neue Stimmungslagen sichtbar. Nicht einmal die Komik kommt zu kurz: Trintignants Kampf mit einer hartnäckigen Taube, die sich immer wieder ins Vorzimmer verirrt, ist ebenso witzig wie die skurrile Beschreibung eines misslungenen Begräbnisses. "Vierzehn Jahre lang habe ich keine Filme mehr gedreht, aber Michael Haneke ist einer der besten Regisseure der Welt", erzählt Jean-Louis Trintignant leutselig: "Es war eine schmerzhafte, aber auch sehr schöne Arbeit." Und fügt zum Gelächter aller hinzu: "Nochmal mach’ ich es nicht."

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