Cannes: Colin Farrell, allein unter Frauen

Kirsten Dunst und Colin Farrell in "The Beguiled"
Zu viele Männer, zu wenige Blockbuster? Cannes zeigt, wie es dem Kino geht – und Neues von Sofia Coppola und Naomi Kawase.

Zarter Applaus flammte im Publikum auf, als der Vorspann von Sofia Coppolas Wettbewerbsfilm "The Beguiled" auf der Leinwand erstrahlte. Der Beifall galt der sich drehenden Weltkugel, dem Logo von "Universal Pictures" – und erinnerte fast nostalgisch daran, dass es heuer in Cannes keine Produktionen großer US-Studios zu sehen gibt. Selbst "The Beguiled" ist Produkt eines ehemals unabhängigen Filmstudios, das mit Universal verschmolzen wurde. Natürlich steht die Programmauswahl von Cannes in erster Linie für gehobenes Autorenkino. Trotzdem aber gab es immer wieder Auftritte von saftigen Blockbustern. Im letzten Jahr sorgte Steven Spielbergs "BFG – Big Friendly Giant" für Rummel an der Croisette, im Jahr davor gab’s "Mad Max: Fury Road".

Wer heuer in Cannes auf Schwergewichte wie Denis Villeneuves "Blade Runner 2049" oder Christopher Nolans Weltkriegsdrama "Dunkirk" gefreut hatte, wurde enttäuscht. Deren Starttermine haben wohl nicht mit denen des Festivals zusammen gepasst. Trotzdem ist auffallend, dass statt den "Majors" wie Warner oder Disney nun Streamingdienste wie Netflix und Amazon das Terrain zu beherrschen beginnen. Sie machen die Verschiebungen in der Filmindustrie augenscheinlich. Wenn schon keinen Blockbuster, dann zumindest Starpower. Diese liefert Sofia Coppola mit ihrem Remake des wüsten Psycho-Sex-Dramas "Betrogen" von 1971. Damals ließ Regisseur Don Siegel den noch jugendlichen Clint Eastwood als Bürgerkriegssoldaten in einem Mädchenpensionat stranden. Sofia Coppola wiederholt dieses Szenario, erzählt diesmal allerdings aus weiblicher Perspektive.

Allein unter Frauen findet sich Colin Farrell: Als verletzter Soldat in den feindlichen Südstaaten der 1860er-Jahre, bekommt er Unterschlupf in einem Gutshaus. Dort ist eine Mädchenschule eingerichtet – und es dauert nicht lange, bis sowohl Schulleiterin wie auch ihre Schützlinge begehrlich um ihn herumscharwenzeln.

Nicole Kidman brilliert als die gestrenge Oberlehrerin, die nur mit Mühe ihre Lust an dem Überraschungsbesuch unterdrücken kann. Auch Kirsten Dunst als ihre rechte Hand ist beim Anblick des appetitlichen Mannes völlig von der Rolle. Coppola entwickelt subtilen Witz in den findigen Ausmaßen, die weibliches Begehren nehmen kann. Wunderschön gefilmt, beben "Die Verführten" (so der neue Titel) genüsslich innerhalb des Gothic-Horror-Genres, wenngleich auch etwas zu gepflegt: Die Verführungen hätten ruhig wilder ausfallen können.

Betrogen

Bei der Pressekonferenz zu "The Beguiled", auf der sich Farrell ebenfalls wieder (fast) allein unter Frauen befand, brach Nicole Kidman eine Lanze für weibliches Filmemachen. Der Frauenanteil sei immer noch viel zu gering: "Wir als Frauen müssen daher die Regisseurinnen unterstützen", sagte Kidman (siehe Seite 38).

Wie zum Beweis, veröffentlichte ein französisches Branchenblatt ein Foto, das anlässlich der 70-Jahres-Feier in Cannes entstanden war und eine Reihe an prominenten Goldene-Palme-Gewinnern zeigte: Fast durchwegs weißhaarige Männer, von Michael Haneke über David Lynch bis hin zu Polanski. Allein unter Männern stand nur eine Frau: Jane Campion. Immerhin haben es heuer drei Regisseurinnen in den Wettbewerb geschafft – neben Coppola noch die Schottin Lynne Ramsey und die Japanerin Naomi Kawase.

Kawase ist übrigens eine von den "Stammgästen" in Cannes, deren Filme ihre Karriere im Festival starteten bzw. dorthin immer wieder zurückkehren. Zu den "Regulars" zählen auch Ruben Östlund, dessen "The Square" im Wettbewerb lief, ebenso wie Haneke oder Kawase. Es ist dieser Kreis an Talenten, der sich in Cannes manchmal fast geschlossen anfühlt.

Kawase jedenfalls erzählt in ihrer zartfühlenden Studie "Radiance" von einem langsam erblindenden Fotografen. Und einer Frau, die Texte für Sehbehinderte im Kino verfasst. Rundum wird bereits spekuliert, ob sie dafür einen Preis erhalten könnte.

Aber sehr wahrscheinlich bleibt Jane Campion als Palmensiegerin noch länger allein unter Männern.

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