Zeruya Shalev: Zum Mars fliegen, aber nicht lieben können

Zeruya Shalev: Zum Mars fliegen, aber nicht lieben können
Der Roman „Schicksal“ der israelischen Schriftstellerin verbindet das Morgen mit dem Gestern

Es kann geschehen, dass Zeruya Shalev weinend über der Tastatur ihres Computers sitzt. Sie hat damit schon einmal ihren Sohn erschreckt – „Mach dir keine Sorgen, es geht um die Frau im Buch, ihr geht es so schlecht.“

(Der Sohn antwortete: „Du bist doch Schriftstellerin, dann beende ihr Leid und mach sie glücklich!“)

Zeruya Shalev gräbt sich in die Seele ihrer Figuren. Traurig wird man allein schon beim Zuschauen. Man sieht, wie sie am Abgrund ins Taumeln geraten. Aber sie fallen nicht. Sie dürfen wachsen.

Glücklich? Werden sie am Ende glücklich? Die Israelin ist eine Schriftstellerin des Schmerzes. Ab Seite 215 wird man „Schicksal“ so richtig zu spüren bekommen.

Gegen Briten

Bevor ihr Vater, ein Hirnforscher, hochbetagt starb – die Mutter war längst tot –, hat er zu ihr gesagt:

„Verzeih mir, Rachel. Mit meinen eigenen Händen hab ich unser Grab geschaufelt.“

Aber die Tochter heißt Atara: „Papa, ich bin nicht Rachel.“

„Lüg mich nicht an!“

Rachel hieß seine erste Frau. Als beide um die 20 waren, waren sie kurz miteinander verheiratet. Warum redet er auf dem Totenbett mit ihr?

Atara, 50, hat Rachel, 90, gesucht und mit Hilfe eines Privatdetektivs gefunden.

Rachel will nicht erinnert werden, dass sie damals aus seltsamsten Gründen verlassen wurde: Er bildete sich ein, verflucht zu sein.

Sie will nicht an die Zeit erinnert werden, als sie zur Untergrundorganisation Lechi gehörten und Terror ausübten. Damals waren die Briten die Feinde. Vertreiben wollte man sie. Und bestrafen, weil sie verhinderten, dass mehr Juden aus dem Weltkriegseuropa nach Palästina ausreisen konnten.

Für die Freiheit Israels hatte man gekämpft. (Ist es ein Unterschied, wenn Araber für die Freiheit Palästinas kämpfen? Eine der Fragen, die Zeruya Shalev in den Raum stellt ...)

Doch! Jetzt will Rachel erinnert werden! Sie will mit der Jüngeren darüber reden, was das für ein Land ist, hinter Mauern und Stacheldraht.

Rachel und Atara wollen sich gemeinsam darüber wundern, dass man anfangs glaubte, nach dem Abzug der Briten werde Ruhe im Land einkehren.

Atara ist Architektin. Für jede Wohnung muss ein Bunker eingeplant werden.

Wenn sie zu Rachel fährt, sieht sie, wie die alten Häuser verschwinden, in denen jüdische und arabische Kultur aufs Schönste verschmolzen waren.

Zeruya Shalev schafft Verbindungen. Zwischen Verlust und Schuld. Zwischen Morgen und Gestern. Zwischen Visionen.

Schicksalsverbindungen. Beide Frauen haben ihren Partner verloren.

Einmal heißt es: Wir fliegen zum Mond, aber zu lieben haben wir nicht gelernt.

Wie sind wir bloß so geworden? Rechthaber und Idioten, einer gegen den anderen.

Das ist nicht auf Israel und Palästina begrenzt.


Zeruya Shalev:
„Schicksal“
Übersetzt von
Anne
Birkenhauer.
Berlin Verlag.
416 Seiten.
24,90 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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