Groteske, albtraumartige Erzählfetzen, die beinahe surrealistisch anmuten. Wer ist diese Erzählerin, von der man nicht einmal den Vornamen weiß? Man könnte ihre unzusammenhängenden, sich oft widersprechenden Berichte als Parodie auf Psychoanalyse lesen. Sigmund Freud hätte seine Freude mit der Episode von dem Mann, der sich die Gebärmutter seiner Ex-Frau einpflanzen lässt. Oder dem Therapeuten, der sich auf dem Schoß des zu Therapierenden niederlässt. Erst recht mit all den sexuellen Auffälligkeiten, von denen hier die Rede ist. Seit dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober liest sich das allerdings ganz anders. Es liest sich wie eine Vorahnung des Grauens.
„Nicht ich“ ist der erste Roman der israelischen Bestsellerautorin Zeruya Shalev („Liebesleben“). Er wurde vor 30 Jahren auf Hebräisch veröffentlicht, auf Deutsch ist er jetzt erst herausgekommen. Das Buch verstörte Publikum und Kritik damals.
Nachvollziehbar, es ist gelinde gesagt etwas sperrig. Die ungefähre Rahmenhandlung: Eine junge Frau verlässt Mann und Kind für einen Liebhaber, der die ganze Zeit schläft. Daraus erwachsen Episoden, die Therapeuten als Metaphern für Neurosen und Zwänge beschreiben würden. Entstanden ist der Roman 1991, in einer weitgehend handyfreien Welt. Shalev, die damals als Lektorin arbeitete, saß in einem Café und wartete auf einen Autor, der mit einer Stunde Verspätung erschien. Währenddessen schrieb sie auf, was gedankenstromartig aus ihr herausfloss.
Aus heutiger Sicht liest sich „Nicht ich“ wie eine künstlerische Verarbeitung des Terrorangriffs vom 7. Oktober. Terror, Bombenangriffe und Entführungen gehörten bereits davor zum Alltag in Israel und waren auch in Shalevs späteren, zugänglicheren Romanen immer präsent. Nun haben ihre Bilder von entführten Kindern, unterirdischen Tunneln und entstellten, traumatisierten Menschen eine neue Dringlichkeit. Die eines Realität gewordenen Albtraums..