Auf dass sich nur ja keiner einschlägige Hoffnungen mache, ist dem Roman ein Zitat des Dichters Konstantinos Kavafis vorangestellt: „So wie du dein Leben ruiniert hast, in diesem kleinen Winkel, hast du es auf der ganzen Welt verdorben.“ Man kennt sich aus. Doch „In der Gnade“ ist keineswegs nur düster. Dieses Buch ist poetisch, überschäumend, exzentrisch. Und vielleicht nicht jedermanns Sache.
Die Story, grob umrissen: Eine junge Frau flieht in den Süden der USA vor ihrem Vater, einem fanatischen Prediger. (Er hat Sprüche wie diesen auf Lager: „Lieben ist eine gute Vorbereitung fürs Sterben.“) Kate kellnert, macht allerhand Bekanntschaften. Sie geht sporadisch aufs College, wird schwanger, trifft einen Mann, heiratet ihn und haust mit ihm in einem Wohnwagen im Wald. (Er weiß, dass das Kind nicht von ihm ist.) Irgendwann hat er einen Unfall mit seinem klapprigen Jaguar, an dem er gern herumschraubt. Indes taucht der Prediger-Dad erneut auf, scheint alles, was Kate beginnt, zerstören zu wollen. Ist das nun Gegenwart oder Erinnerung? Die Zeitsprünge sind oft schwer nachvollziehbar. Wird Kate sich dem manipulativen Vater entziehen können? Oder am Ende wieder in ihrem Kinderzimmer landen?
Die Gnade Gottes
Es ist erneut das hässliche Amerika, das Williams hier beschreibt. Joy Williams ist wie ihre Protagonistin Tochter eines Predigers: Vieles in ihrem Schreiben wirkt parabelhaft und unausweichlich – wie das Ringen um die „Gnade Gottes“. Träume braucht man in diesem Land nicht zu haben, erfuhr man bereits in Williams’ 2023 auf Deutsch erschienenen Kurzgeschichten. Sperrig wirkt „In der Gnade“, wenn man unbedingt alles verstehen will. Man sollte sich einfach auf diese seltsam-schöne Prosa einlassen, in der immer wieder bekannte Details auftauchen. Allen voran die Tiere. Hunde, Wildschweine, Vögel. Mit besonderen Eigenschaften. (Der Vogel an der Rezeption kann zwei Meter quer durch den Raum scheißen.)
Joy Williams lebt mit Schäferhunden, sie kommen immer wieder bei ihr vor. Sie trägt meist eine dunke Sonnenbrille und gibt rätselhafte Antworten in Interviews, was ihr einen geheimnisvollen Nimbus verleiht. Ebenso wie die Schwärmerei der Kollegen: Bret Easton Ellis und Don DeLillo verehren sie, Raymond Carver schrieb Hymnen über ihr Werk. Angeblich hat Joy Williams auch Reiseführer geschrieben. Es müssen Reiseführer durch die Unterwelt gewesen sein.