Auch Mütter von Mördern bewahren die Kinderbasteleien ihres Nachwuchses auf. Sie unterhalten sich über Muttertagsgeschenke wie Handabdrücke aus Gips und über den gemeinsamen Kummer darüber, was aus den Kindern geworden ist und am Ende findet eine von ihnen, dass die Erde nicht weniger schön ist.
Klingt tröstlich? Nun ja, Erbauungsprosa sind Joy Williams’ Kurzgeschichten eher nicht. In Ausnahmefällen, vielleicht in der Geschichte von Jones, dem Prediger. Dazu später. Die Mütter überlegen indes, ob sie die Basteleien der Mörder-Kinder nicht auf eBay verscherbeln könnten. „Die Leute sind ja so gruselig“.
Eine klassische Joy Williams-Story ist auch gruselig. Und komisch. Vor allem: aufsehenerregend. Aberwitzig. Und sehr amerikanisch. Hier plätschert nichts, hier passiert’s. Und da, wo’s nicht gleich passiert, da brodelt’s. Unheimlich und abgründig ist Williams nämlich auch.
Da ist etwa die Geschichte Dwight und Lucy, die mit einem alten Ford Thunderbird im Wohnzimmer leben. Völlig durchgerostet, reparieren zwecklos, sogar der Schäferhund des Mechanikers hat wissend geseufzt, als er die alte Rostschüssel gesehen hat.
Oder die Story von Miriam und ihrem Mann Jack, einem forensischen Anthropologen, sowie ihrer gemeinsamen Nachttischelampe aus präparierten Hirschhufen. Die Lampe liest gerne. Sie mag Poe und Kierkegaard. Der Mann hat studentische Fans und bald einen Unfall, der ihn halbseitig lähmt und arbeitsunfähig macht. Ein bewundernder Student nimmt sich seiner an. Gattin Miriam macht einstweilen in einer Bar eine Bekanntschaft: „Ich heiße Priscilla Dickmann und ich bin Ex-Agoraphobikerin.“ All das und noch einiges mehr passiert auf weniger als 30 Seiten. Kurz und knackig. Joy Williams, 79, wird auf dem Cover ihres Erzählbandes „Stories“ von Branchenkollegen wie Raymond Carver gelobt: „Einfach ein Wunder“ sei sie, schrieb der Mann, der selbst als Kultautor der Kurzgeschichte galt. Die Huldigung muss mehr als 35 Jahre alt sein, Carver starb 1988. Recht hatte er und schade, dass man sein Lob im deutschen Sprachraum erst jetzt nachvollziehen kann.
Williams hat fünf Romane veröffentlicht, auf Deutsch sind bisher nur die vorliegenden Kurzgeschichten zu haben, im Original zwischen 1972 und 2014 erschienen. Reduziert bis auf die Knochen, ohne ein Wort zu viel, erzählt Joy Williams darin wie beiläufig Ungeheuerliches. Manchmal auch nur Angedeutetes, was eine umso größere Sogwirkung entwickelt. Aufs Herz vergisst sie bei aller Lakonie nie: Rührend und schräg zugleich ist etwa das betagte Paar Don und Debbie, das einträchtig mit seiner Schlange Lu-Lu lebt; ergreifend die todkranke Gloria, die so gern noch einmal einen Hund hätte, und zwar einen, der „zur Abwechslung mal nicht schlappmacht“. Und vor allem ist da Prediger Jones, der seiner sterbenden Frau täglich Rosen bringt. Und dem Joy Williams am Ende ihrer Geschichte dafür ein wenig Hoffnung schenkt.