... und wieder 17 Bücher, kurz vorgestellt

... und wieder 17 Bücher, kurz vorgestellt
Diesmal: Eier, die wie Planeten aussehen; ein österreichischer Roman über den Spanischen Bürgerkrieg; Wien, Japan, Jerusalem, Italien ...

Letztes Geleit für Verbrauchtes

Bilderbuch. Alltagsdinge, so schön und so schade, wenn sie irgendwie irgendwann verschwinden. Beim Vergrößern wachsen sie aus ihrer Unscheinbarkeit: Büroklammer,  eine Murmel, Maßband, ein Fingerhut, ein Schwamm zum Befeuchten von Briefmarken, als diese noch nicht von selbst auf dem Kuvert picken blieben... Das Bilderbuch „passé“ mit den 100 Fotografien  ist wie das letzte Geleit fürs aus der Mode gefallene Analoge.

Michael Bilek und Andrea Wittstruck (Fotos): „passé“ edition mixtumcompositum, 95 Euro

KURIER-Wertung: ****

Foto oben, der Schwamm, aus dem Buch

 

14 Stockwerke mit Geschichte

Entdeckung. Ein österreichischer Roman über den Spanischen Bürgerkrieg, zum ersten Mal als Buch – 47 Jahre nach dem Tod der Wiener Autorin, die selbst in der Telefónica in Madrid arbeitete, dem  Hochhaus in der Gran Via  –  damals Pressezentrum und Beobachtungsturm der Republikaner, unter Beschuss von Francos Truppen.  14 Stockwerke mit Geschichte und Liebesgeschichte.

Ilsa Barea-Kulcsar:
Telefónica“ Herausgegeben
und mit einem Nachwort
von Georg Pichler. Edition Atelier.
352 Seiten. 25 Euro
KURIER-Wertung: ****

 

Lieber Hexe als Ikone

Interview. Wenn die Atwood mit  Besen vor ihrem Haus steht und kehrt, sagt der Nachbar: „Gib den Besen weg, sonst sagen die Leute wieder, du bist eine Hexe.“ Das gefällt der Schriftstellerin. Besser, man hat Angst vor ihr. Ist der Kanadierin lieber, als man nennt sie Ikone.  Nahrhaftes Interview über Trump, Feminismus, Esoterik, Wissenschaft. Die Frau ist 80! Das gibt Hoffung.

Margaret Atwood und Caspar Shaller: „Aus dem Wald
hinausfinden“
Kampa Verlag.
160 Seiten. 20,60 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Wie 200 Planeten im All

Eier. Zwei Kilo Buch mit 200 Vogeleiern aus der Sammlung des Schweizers Werner Haller (gestorben 1980). Er hatte 47.000 Exemplare. Die Eier von Eulen sind rund, Trottellumme haben die spitzesten Eier, Kohlmeisen haben rotgefleckte, Katzenspottdrossel blaue. Das hat immer einen Grund, den man  erfahren wird. Wie Planeten schweben sie jetzt im schwarzen Weltraum (= auf schwarzen Seiten).

Laurent Vallotton (Text) und
Paul Sarosta (Fotos):
„Eier – Ursprung des Lebens“
Elisabeth Sandmann Verlag.
224 Seiten. 80,20 Euro
KURIER-Wertung: ****

 

Entscheiden statt abwarten

Mut. Das erste Kapitel heißt: „Worauf warten wir eigentlich? Dass das Leben endlich beginnt?“ Da muss man weiterlesen. Und auf diese Autoren kann man hören, wenn’s ums Bewältuigen von  Herausforderungen geht. Gschwandtner ist seit einem Unfall Rollstuhlfahrer, Redl ist Weltrekordler im Freitauchen. (Im übrigen: Entscheide dich gegen das Mittelmaß.)

Tom Gschwandtner und
Christian Redl:
  „Wirklich leben heißt entscheiden“
Verlag Kremayr und Scheriau.
192 Seiten. 22 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Spazieren an den Rändern Wiens

Gehen. Allein spazieren gehen, zu den Rändern Wiens. Etwa durch die Bossigasse. Bossi? Hutfabrikant war er, man wird immer aufmerksamer, immer interessierter. Langsames Gehen bildet. Was ist denn das für ein hässlicher Schönheitssalon? Daneben auf der Wiese liegen Männer auf Matten. Werden sie hier verschönert? Es sind Arbeiter, die ihre Mittagspause machen.

Oskar Aichinger:
„Fast hätt ich die Stadt verlassen“
Picus Verlag.
192 Seiten.
20 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Selbstgespräch mit Lachern

Familienchronik. Das ist eine Rückschau auf die Krisen eines Lebens. Mit Ironie geschrieben vom Burgenländer Norbert Johannes Prenner, dessen Ich-Erzähler (also er, Prenner) von der Familie redet, vom Scheitern, von zerstörten Illusionen,  sich selbst dabei zuhört und heimlich darüber lacht. „Der Chronist“ ist ein Selbstgespräch, wobei der Leser gegenüber sitzt und sich denkt: Red’ ruhig weiter, Prenner, tut uns beiden gut.


Norbert Johannes Prenner:
 „Der Chronist“
Morawa Lesezirkel.
396 Seiten.
29,90 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Am Anfang reicht ein Beutel

Kochen. Zeit wär’ ja jetzt mehr vorhanden, und beim Fermentieren, beim Gären von Gemüse und Obst, reicht anfangs ein Beutel mit Reißverschluss (und Salz und Karotten oder Kohlrabi). Das Veredeln ist gut für den Darm, so heißt es immer.  Palmetshofer zeigt, dass auch die Geschmacksknospen etwas davon haben: Grapefruit-Fenchel, Erdäpfelpuffer mit Kimchi, Heidelbeersalsa...

Ingrid Palmetshofer:
„Geschmacksrevolution
Fermentieren“
Kneipp Verlag.
160 Seiten. 25 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Ein Traktor für die Kultur

Satire. Ein Kunststück des Grazers Max Höfler: Er hat über Traktoren geschrieben, wie sich Traktoren in den 1960ern von der Steiermark aus gegen Schrebergartler mit Gartenkralle durchsetzten ... und es geht überhaupt nicht um Traktoren. Sondern um Kultur, ums Forum Stadtpark, das Österreich beackerte. Und heute? Kehrt die Kralle zurück. Max Höfler ist ein selten gewordener Traktor.

Max Höfler:
Traktor
Ritter Verlag.
176 Seiten.
18,90 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Totenschädel zum Adoptieren

Italien. Man wird dieses Porträt Italiens nach der Katastrophe ergänzen müssen. Aber das große Gefühl fürs Land ist immer da, und mit Thomas Steinfeld sieht man nicht nur den Reichtum, sondern er will mehr wissen, er geht allem auf den Grund. Z.B. dem unterirdischen Friedhof von Neapel mit den zur Adoption freigegeben uralten Totenköpfen: Man  wird verstehen, warum es dort so lebendig zugeht.

Thomas Steinfeld:
  „Italien. Porträt eines
fremden Landes“
Rowohlt Berlin.
448 Seiten. 25,70 Euro
KURIER-Wertung: ****

 

Kein Glück durch Fledermäuse

Heilige. Den Salzburger Bodo Hell kann man sich so vorstellen: Oben schüttet er Fakten in sich hinein, Wissen aus dem Lexikon; und unten - d.h. bei ihm: unten in der Füllfeder, da kommt Literatur heraus. Diesmal über Heilige und dergleichen, auch über schlichten Volksglauben: Wo eine Fledermaus herumfliegt, ist Glück im Haus ... so hieß es einmal. Aber nein, daran glaubt seit Corona niemand mehr.

Bodo Hell:
 „Auffahrt“
 Droschl Verlag.
170 Seiten.
18 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Interessante Ratlosigkeit

Doderer. Nicht nur Heimito von Doderer selbst, auch die Kritikerin Hilde Spiel hielt die „Posaunen“, bloß 60 Seiten lang, für sein „Hauptwerk“. Und das Tollste überhaupt: Es macht  herrlich ratlos. Man versteht alles und kapiert nichts. Hier wird ein Mann böse, am Schluss betrinkt er sich und will die Nachbarin mit  Posaunenlärm erschrecken. Sie ist aber eh nicht daheim. Er hat das gewusst. War’s denn nur ein Spaß?

Heimito von Doderer:
  „Die Posaunen von Jericho“
 C.H. Beck Verlag.
80 Seiten.
14,40 Euro
KURIER-Wertung: ****

 

Streit, wie man Hummus macht

Jerusalem. An welchem heiligen Ort schmeckt die unglaubliche Geschichte auch auf dem Teller ? Jerusalem ist die Stadt der tausend Gerüche. In diesem Lese- und Kochbuch stellen die bekanntesten Restaurants ihre Gerichte vor (und diskutieren, wie man Hummus macht. Cremig? Grob?). „Machneyuda“ kocht Polenta mit Rahm und Spargel, „Shmil“ zeigt, wie man gehackte Leber zubereitet usw.

Vanessa Schlesier und
Malte Jäger (Fotos):
  „Jerusalem
 AT Verlag.
230  Seiten. 30,80 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Rache und Liebe eines Kriegers

Japan. Einst war der Samurai ein Held, nun, in Friedenszeiten, ist er faul geworden. Aber eines hat der Krieger noch zu erledigen in Nagasaki ums Jahr 1642.  Eine Novelle der Münchnerin Christine Wunnicke, wieder einmal mit einem Geist, diesmal  mit Rache und Männerliebe. Die Münchnerin hat ein G’spür für hintersinnige Stoffe. Oft ist sie übernatürlich, und dann ist sie auch übernatürlich gut. Im Herbst 2020 erscheint der Roman "Die Dame mit der bemalten Hand", dann ist sie in Bombay im Jahr 1764.

Christine Wunnicke:
  „Nagasaki, ca. 1642“
 Berenberg Verlag.
96 Seiten.
14,40 Euro
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

 

Suche nach Barmherzigkeit

Benediktiner. „Wenn die Regierenden dem Volk keine Antworten liefern können, liefern sie ihm Feinde.“ Flüchtlinge etwa. Paolo Rumiz, preisgekrönter Journalist aus Triest, hat schon die alte Via Appia gesucht und gefunden – und den Po hat er bereist - und nun: Barmherzigkeit, Solidarität, Respekt gegenüber der Natur. Deshalb wanderte er zu Benediktinerabteien in vielen Ländern. Mauern der Intoleranz stürzen.

Paolo Rumiz:
  „Der unendliche Faden“
 Übersetzt von Karin Fleischanderl.
Folio Verlag.
220 Seiten. 22 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Es gibt keine Isprawnik mehr

Klassiker. Dostojewskis „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“ (bzw. toten Haus) wurden neun Mal ins Deutsche übertragen, leider nicht von Swetlana Geier, sie starb während der Arbeit. Die Neuübersetzung war notwendig: Sonst wäre der  Ispráwnik ein Isprawnik geblieben, jetzt ist er  Chef der Kreispolizei. Barbara Conrad entstaubte nicht nur, sondern macht Dostojewski noch großartiger.

Fjodor M. Dostojewski:
 „Aufzeichnungen aus einem
toten Haus“ Neu übersetzt von Barbara Conrad. Hanser Verlag.
560 Seiten. 37,10 Euro
KURIER-Wertung: *****

 

Erich Fromm überzeugt immer

Autobiografie. 1970, 1980 musste man Erich Fromm lesen. Jetzt sollte man. Der Psychoanalytiker überzeugt nach wie vor, wenn er die Kunst des Liebens lehrt und das Wegorientieren vom Haben, hin zur Freiheit, Dieses Taschenbuch hat auch sein Credo zum Inhalt: endlich aufwachen und menschlich werden und das Gefühl der Hilflosigkeit und Sinnlosigkeit verlieren.

Erich Fromm:
 „Jenseits der Illusionen“
 Übersetzt von Ernst Mickel
und Liselotte Mickel. dtv.
208 Seiten. 11,30 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

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