Diese Geschichte begann vor zehn Jahren in einem Buchgeschäft in Barcelona. Maria Isabel Sánchez Vegara suchte ein Geschenk für ihre beiden Nichten Alba und Claudia. „Aber ich sah, dass es keine Kinderbücher über Frauen gab, die Tolles geleistet haben“, erzählt die Autorin. „Meistens ging es um Helden. Daneben gab es noch Prinzessinnen und Hexen, also nicht gerade jene Art von Vorbildern, die man für sehr inspirierend hält. Also dachte ich: Warum schreibst du nicht einfach selbst eines?“
2012 veröffentlichte sie ihr erstes Buch im Eigenverlag, zwei Jahre später startete sie beim spanischen Verlag Alba Editorial die Serie „Little People, Big Dreams“. Mit dem Buch über die Modeschöpferin Coco Chanel, das sie eigentlich nur für ihre Nichten geschrieben hatte.
Unabhängige Frauen
Warum Coco Chanel? „Ich dachte: Wen hätte ich gern getroffen, als ich ein kleines Mädchen war?“ sagt Sánchez Vegara. „Damals las ich gerade eine Biografie über sie. Und ich fand ihre Lebensleistung erstaunlich. Coco Chanel hat das Erscheinungsbild von Frauen von heute verändert.. Sie war eine Referenz dafür, was unabhängige Frauen leisten können, und die erste, die Hosen trug und die Frauen vom Korsett befreite.“
Für sie sei es aber wichtig, eine interessante Geschichte zu erzählen. „Es soll sich nicht wie ein Wikipedia-Lebenslauf lesen“, sagt die Autorin. "Letztlich ist für mich das Schöne an der Serie, dass es Sachbücher sind, die sich dennoch ein bisschen wie Fiktion anfühlen.“
Coco Chanel ist als armes Mädchen in einem Waisenhaus aufgewachsen und wurde trotzdem sehr erfolgreich. Auch die mexikanische Malerin Frida Kahlo, die zweite Frau in der Serie, hat einen Lebenslauf mit Brüchen, ja, sogar mit Katastrophen, „das macht ihre Geschichte für Kinder interessant", finde Sánchez Vegara.
Nun auch berühmte Männer
Die Serie wächst mittlerweile beständig weiter. Längst hat die Spanierin ihren Job in der Werbebranche aufgegeben. Allein beim deutschen Insel Verlag sind bereits mehr als 30 Bücher erschienen, im September kommen weitere acht dazu, darunter Josephine Baker und Michelle Obama, aber auch Elton John und Mahatma Ghandi. Denn Sánchez Vegara hat die Serie längst auf bedeutende Männer ausgeweitet. Einerseits, weil ihre Neffen sie danach fragten, andererseits, weil sie auch Zuschriften von Müttern und Vätern erhielt.
„Ich betrachte diese Bücher als eine Serie über Feminismus“, sagt Sánchez Vegara. „Aber Feminismus umfasst alle. Im Endeffekt geht es darum, dass ein kleiner Bub oder ein kleines Mädchen oder ein kleiner Jemand einen Traum hatte, und alles daran gesetzt hat, dieses Ziel zu erreichen. Da besteht kein Unterschied zwischen Männern und Frauen. Es geht darum, Kinder zu inspirieren.“
Nachforschungen
Und dies gelingt offenbar in großem Ausmaß. Die Bücher wurden bisher in mehr als 20 Sprachen übersetzt und verkauften sich weltweit bereits mehr als fünf Millionen Mal. Ein Grund für den Erfolg könnte sein, dass sich auch Erwachsene von den Geschichten angesprochen fühlen. Sánchez Vegara: „Wenn ich meine Nachforschungen anstelle, entdecke ich viele neue Dinge über die Charaktere. Ich kann also verstehen, dass es auch Eltern so geht. Ich denke, dass es die Bindung stärken kann, wenn Kinder merken, dass sich Eltern wirklich für ihre Bücher interessieren.“
Der erste porträtierte Mann war Stephen Hawking. Nach dem Tod des Astrophysikers im Jahr 2018 war es der Autorin ein großes Anliegen, ein Buch über ihn zu gestalten. "Er war einfach eine unglaublich faszinierende Person", sagt sie. "Hawking hat Dinge bewältigt, zu denen sich wohl kaum ein Mensch fähig fühlt. Sein Körper konnte sich kaum bewegen, aber mit seinem Geist konnte er durchs Universum reisen. Was für eine Geschichte könnte cooler sein für Kinder?"
Ans Ende jedes Buches ist eine ausführlichere Biografie mit Originalfotos gestellt. Dort ist im Fall von Coco Chanel vermerkt, dass sie zwischenzeitlich mit den Nazis kollaborierte. „In der Geschichte wäre das für vierjährige Kinder zu schwer zu erklären, sodass die Grundbotschaft verloren gehen könnte“, erklärt Sánchez Vegara. „Ich versuche aber, Blickwinkel zu finden, um auch Probleme anzusprechen. Natürlich kannst du nicht auf alles eingehen, weil der Tod für Kinder beängstigend ist.“
Das schwierigste Buch sei jenes über Anne Frank gewesen, sagt sie. Jenes Mädchen, das von den Nazis verschleppt und getötet wurde, aber ihr berühmt gewordenes Tagebuch hinterließ. „Ich beende meine Bücher nie mit dem Tod. Am Ende steht immer das Kind, das auf seine Leistungen als Erwachsener blickt", erzählt die Autorin. "Das war in diesem Fall nicht möglich. Wir haben das Buch in Schwarz-Weiß illustriert, damit es für jüngere Kinder nicht so anziehend ist.“
Dass jedes Buch von einer anderen Person illustriert wird, war zunächst Zufall: Weil Ana Albero, die Zeichnerin von „Coco Chanel“, keine Zeit für das zweite Buch (über Frida Kahlo) fand. Sánchez Vegara: „Mittlerweile ist es das, was das Projekt einzigartig macht: Es sind Menschen aus vielen Ländern und Kulturen beteiligt.“
So wurde zum Beispiel Marie Curie von der Wiener Künstlerin Frau Isa gezeichnet. Für nächstes Jahr ist übrigens ein Buch über einen „Dreamer“ aus Österreich geplant: Hollywood-Star und Erfinderin Hedy Lamarr.
Workaholic
Insgesamt hat sie bereits mehr als achtzig Biografien bearbeitet, wobei nicht in allen Ländern sämtliche Bücher erscheinen. Im vergangenen Jahr seien es mit 24 die meisten Biografien gewesen, dieses Jahr habe sie etwas reduziert, sagt sie, es werden wohl 16 werden. "Aber ich bin ein Workaholic", meint sie. "Ich habe in der Werbebranche so intensiv gearbeitet, dass es für mich schwierig ist, den Rhythmus zu verlangsamen. Aber ich liebe einfach diesen Arbeitsprozess, vom Recherchieren bis zur Arbeit mit den Illustratoren."
Lebende Personen
Etwas schwieriger machte die Arbeit, dass mittlerweile auch lebende Personen – wie Greta Thunberg oder Kamala Harris – porträtiert werden. „Natürlich kann in einer Biografie immer etwas passieren“, sagt die Autorin, aber: „Niemand ist perfekt, das soll die Serie auch vermitteln.“
Beim gerade entstehenden Buch über den britischen Fußballstar Marcus Rashford hat es sich plötzlich ergeben, dass er beim EM-Finale einen entscheidenden Elfmeter vergeben hat und dann rassistischen Angriffen ausgesetzt war. "Es wäre einfach gewesen, noch die letzten zwei, drei Seiten zu ändern", sagt Sánchez Vegara, "aber ich dachte: Das ist nicht die Geschichte, um die es eigentlich geht. Es geht mehr darum, was er abseits des Fußballplatzes unternimmt, um unterernährten Kindern zu helfen. Die gibt es auch in Europa."
Fernsehserie
Demnächst könnte „Little People, Big Dreams“ auch ins Fernsehen kommen. Sánchez Vegara arbeitet gerade an Cartoon-Sequenzen und hofft, dass noch dieses Jahr ein Deal mit einem großen Streaminganbieter steht.
Und wovon sie selbst träumt? "Dass aus den Geschichten ein Musical werden könnte. Jeder Song beruht auf einem berühmten Zitat einer Persönlichkeit. Ich würde es großartig finden, das auf der Bühne zu sehen,"
Ein Ende für die Buchreihe selbst ist ohnehin nicht in Sicht, meint Sánchez Vegara. Sie sagt: „Kinder glücklich zu machen, ist der beste Job der Welt. Und es wird immer Leute geben, die träumen.“
Kommentare