Richard Ford und seine Suche nach vollkommener Einfachheit

Richard Ford und seine Suche nach vollkommener Einfachheit
Neun Erzählungen, wobei manchmal ein kurzer Dialog genügt, in dem die ganze Geschichte steht: "Irische Passagiere"

Es reicht ein kurzer Dialog, damit man weiß, dass man hier bestimmt keinen Ballast aufgebürdet bekommt.

Aber Wesentliches mitnehmen wird.

Sie: „Darf ich dich jetzt küssen?“

Er: „Nicht hier.“

Sie: „Was tun wir, statt uns zu küssen?“

Er: „Wir gehen einfach weiter.“

Neueinschätzung

Der Amerikaner Richard Ford („Der Sportreporter“, „Unabhängigkeitstag“, Die Lage des Landes“) wird freilich etwas ausführlicher in dieser Erzählung – der ersten von neun Erzählungen in „Irische Passagiere“.

Aber in dem Wortwechsel steckt schon alles.

In New Orleans ist eine New Yorkerin aufgetaucht, Barbara. Sie hat die Begegnung mit einem Mann gesucht (und dabei zu viel getrunken), dem Rechtsanwalt Sandy McGuinness, mit dem sie vor 35 Jahren kurzzeitig ein Paar und in Island auf Urlaub war. Die beiden waren Studenten damals, 20 Jahre alt, 1981 war das.

Der Mann begreift sofort, dass es eine Begegnung ist, die zu einer Neueinschätzung des Lebens führen könnte.

Deshalb geht er weiter.

Zum Abendessen mit seiner Ehefrau. Aber Barbara wird noch ein paar Tage in New Orleans bleiben.

Richard Ford hat nicht vor, die beiden weiterhin zu beobachten. (Mister McGuinness wird Barbara aus dem Weg gehen, bestimmt wird er das.)

Seine Erzählungen sind keine Romane; hätten es aber werden können, jede Erzählung hätte sich aufblasen lassen.

Aber Einfachheit in Vollendung, das ist Ziel des mittlerweile 76-jährigen Pulitzer-Preisträgers. Melancholische, zärtliche und immer elegante Einfachheit.

Diesmal zeigt er nicht, wie man alles vergeigt und trotzdem noch ein Plätzchen fürs Weiterleben hat.

Diesmal zeigt er, wie etwas Unerwartetes in den Alltag kracht und man trotzdem noch ein Plätzchen fürs Weiterleben hat.

Zum Beispiel ist der Vater früh gestorben. Oder eine Scheidung. Brustkrebs. Ein Faustschlag, weil Bill Clinton gewonnen hat. Ein Wirbelsturm ... Daraus ergeben sich Meditationen über Liebe und Verlust.

Meist sind es Menschen im mittleren Alter, fast immer haben sie Geld, immer wirft Vergangenes auf sie Schatten – unangenehmer als die Schatten von Hemingway und Fitzgerald, die sich über Ford legen: Er gilt als der Letzte aus jener Generation amerikanischer Schriftsteller, die unter deren direktem Einfluss heranwuchsen.

Wenn Richard Ford schreibt, zieht er den Hut vor ihnen.

Da ist noch so ein kurzer Dialog in einer anderen Geschichte.

Er will sie küssen.

Sie: „Schluss damit.“

Er: „Warum?“

Sie: „Ich finde dich nicht attraktiv. Und ich habe meine Tage. Können wir jetzt gehen?“

Warum? So was Dummes. Das Nachfragen bereut er sein Leben lang.

 

Richard Ford: „Irische
Passagiere“
Übersetzt von
 Frank Heibert.
Hanser Berlin.
288 Seiten.
22,70 Euro.

KURIER-Wertung:**** und ein halber Stern

Kommentare