René Freund: Zwischen Qual, Euphorie und wilder Jagd
Gerade erst zwölf geworden, informiert er die erwachsene Umgebung über seinen festen Entschluss, irgendwann ein Schriftsteller zu sein. Erntet dafür tätschelnde Kommentare wie „Ja freilich“ bis „Schau ma mal“. Ende der Neunziger schmeißt der jugendliche René Freund gar seinen erfolgversprechenden Job als angehender Dramaturg am Theater in der Josefstadt. Kopfschütteln dokumentiert die kollektive Fassungslosigkeit im Bekanntenkreis – doch Freund bleibt auf Kurs.
56 Jahre alt, mittlerweile von Wien ins oberösterreichische Grünau übersiedelt, und viele Romane, Sachbücher, Hörspiele und Theaterstücke später, ist die einstige Fantasterei längst Erfüllung geworden. Befriedigend, als anerkannter österreichischer Autor zu gelten, oft im Genuss stehend, „mit einer neuen Geschichte 24 Stunden am Tag, beim Spazierengehen, Abendessen, Duschen und im Traum beschäftigt zu sein“, aber manchmal auch von Gedanken bedrängt, ob der gewählte Lebensinhalt auch den Lebensunterhalt für immer zu sichern vermag.
Bevor die Idealvorstellung vom durch die Landschaft wandelnden Dichterfürst vor dem geistigen Auge erscheint, muss auf nackte Zahlen verwiesen werden: Zehn Prozent vom Ladenpreis erhält der Autor pro verkauftem Buch. Haufenweise Idealismus war nötig, zwei Jahre lang in der Familienhistorie zu stochern, um „Mein Vater, der Deserteur“ (2014) abseits des literarischen Mainstreams erscheinen zu lassen. Mehr als die Aufwandsentschädigung war nicht drinnen.
"Ohne meine Nebentätigkeit als Kolumnist wär’s in manchen Momenten nicht so einfach“, sagt Freund. Unverzichtbare Berufsanforderung ist, bei Neuerscheinungen auf Lesetour zu gehen. Diesbezüglich ist er im Herbst fast ausgebucht.
Auf dem Tisch eines Linzer Kaffeehauses liegt eben diese Neuerscheinung, „Wilde Jagd“ heißt Freunds aktuelles Werk.
Ein Krimi mit Unterhaltungswert? Eigentlich schon. Aber einer, der als ernsten Hintergrund die typisch österreichische Schwäche der Aufarbeitung wählt.
Freund erklärt seine Motivation, solch einen Roman zu schreiben.
„Der Inhalt hat auch indirekt mit der Spaltung der Gesellschaft zu tun, die immer mehr zu spüren ist.“ Schleichend sei der Prozess, „der mir Angst macht, weil sich unter dem Vorwand der Demokratisierung überall Kräfte finden, die Europa zerstören wollen und den alten Nationalismus wieder aufleben lassen.“ Bürgerliche Parteien hätten dies nicht kapiert. „Ich vermisse gescheite Konservative im Sinne der Verteidigung wahrer Werte, die klar sagen: Nicht mit uns. Aber diese Front bröckelt total.“ Auch habe er den Eindruck, dass „viele von den Jungen noch sehr unpolitisch sind.“
Im Mittelpunkt der Story steht ein Mord, verschwunden ist die dazugehörige Leiche, die nach ihr suchende Schwester, eine slowakische Pflegerin mit hellseherischer Begabung. Umrahmt von liebenswert gelebter Bodenständigkeit und einem abgehobenen Unsympathler im fiktiven Salzburger Bergdorf.
Freunds flüssig gehaltener Erzählstil hält durchgehend den Spannungsbogen, schubst ohne Effekthascherei auf den Irrweg, danach ins überraschende Finale. Und verleitet wird mancher Leser, sich in der Person des Hauptdarstellers wiederzufinden. Die da besticht durch Fehlerhaftigkeit und Unbeholfenheit bei der Lösung persönlicher Probleme, obwohl ihr der Stempel der Gesellschaft eigentlich unantastbare Allwissenheit bescheinigt.
Ein Schluck Kaffee unterbricht Freunds Ausführungen, hinter der Tasse macht sich ein verschmitztes Lächeln breit. „Mein Protagonist ist nämlich Philosoph. Auch ich habe Philosophie studiert, trinke aber nicht so viel wie er. Und er denkt nicht klischeehaft Tag und Nacht über den Sinn des Lebens nach.“
Esoterik und Nationalsozialismus waren Inhalt von Freunds philosophischer Doktorarbeit. „Ein Thema, das einen nie loslässt.“ Wie sich seine Romanfiguren in ihre Konturen fügen? „Kann ich nicht genau beantworten, ein geheimnisvoller Prozess. Natürlich kommen auch Verhaltensmuster von Personen vor, die ich kennengelernt habe. Wenn das passiert, dann sag ich’s den Betreffenden nicht, weil sie es oft zu persönlich nehmen. Andererseits glauben Leute, sich wiederzuerkennen, an die ich keine Sekunde lang gedacht habe.“
Und wie es letztendlich funktioniert, auf 300 Seiten den roten Faden zu behalten?
Freunds Methode: Auf einem Bogen Packpier zeichnet er die „Storyline“ – z.B. Seite 33: Auftritt der Person X ... krachender Auftritt von Adrian Ziller (der Ungustl in der Wilden Jagd, Anm.)... usw. Ein Leitfaden, der plötzliche Eingebungen erlaubt. So werden Männer zu Frauen und umgekehrt, Szenen oder Umgebungen verändert.
Nur die skizzierte Geschichte herunter zu tippen, sei ja eine mit Ärmelschoner zu erledigende Arbeit, also uninteressant. „Und muss man sich an manchen Tagen quälen, ist das Produkt oft besser als jenes nach einem von Euphorie getragenen Schreibfluss.“ Nur das Ende ist Fixpunkt im Roman, die Storyline sei keine strenge Vorgabe, aber sie beruhige ungemein.
„Das Schöne am Job ist, ein bisschen in die Gottesrolle schlüpfen zu dürfen, alles selbst kreieren zu können. Und wichtig ist, sich dabei innerlich zu öffnen, damit es andere auch berührt. So etwas funktioniert halt nicht mit Tricks, sondern nur mit Offenheit.“
Flexibilität ist gefordert. René Freund hat aus besonderem Anlass seine Arbeit an der „Wilden Jagd“ unterbrochen. Die Zeiten der Pandemie verlangten geradezu danach, den Roman „Das Vierzehn-Tage Date“ einzuschieben – Frau und Mann, die einander im Lockdown gehörig auf die Nerven gehen. Als Theaterstück wird es seit über einem Jahr in Berlin aufgeführt.
Wie ausgeprägt das Konkurrenzdenken in der Literaturszene ist?
René Freunds Haltung ist klar: „Wir alle wissen, dass der Erfolg des Einzelnen ein Erfolg für uns alle ist, ein Erfolg für Bücher, für das Lesen. Sich darüber nicht zu freuen, wäre einfach nur blöd.“