„Kino“ heißt diese traurige, merkwürdige Episode, sie ist ein „unumgängliches Detail der Biografie“, wie Miljenko Jergović, 1966 in Sarajevo geboren, seinem Erzählband „Das verrückte Herz. Sarajevo Marlboro remastered“ vorausschickt.
Ob sie stimmt oder nicht, ist natürlich nebensächlich, „und was heißt das schon, ob etwas wahr ist. Ob Tolstoi oder unser Andrić, Schriftsteller halten sich auch nicht an die Wahrheit und doch gibt es nichts Wahrhaftigeres und Schöneres als ihre Bücher“, wird er seinen Erzähler sagen lassen.
Vor 30 Jahren ist Miljenko Jergović mit seinem Erzählband „Sarajevo Marlboro“ bei uns bekannt geworden. Er hatte diese Erzählungen über eine Stadt im Krieg damals geschrieben, „um zu überleben.“ Nun hat er erneut Erzählungen aus dem belagerten Sarajevo veröffentlicht. Es ist jedoch, schreibt er, „das Buch eines anderen Mannes“, die Stadt und die Belagerung sind ihm ferngerückt.
Ein bisschen erinnern diese im kroatischen Original 2022 erschienenen Erzählungen, deren Ton zwischen Schrecken, Melancholie und Absurdität changiert, an den 2023 verstorbenen Schriftsteller Dževad Karahasan, der kurz vor seinem Tod noch den Sarajevo-Roman „Einübung ins Schweben“ veröffentlichte. Auch bei ihm ging es um die Heimat im Krieg. Karahasans Buch war eine langsame, bittere Stadtführung. Jergović wirkt rastloser, er wirft in seinen Erzählminiaturen direkte Schlaglichter auf die verwundete Stadt. Sie vermitteln ein beeindruckendes Gesamtbild. Wuchernde Fantasie, herzzerreißende Schicksale, sonderbare Details kommen einem aus diesen Geschichten entgegen.
So berichte er in der titelgebenden Erzählung „Das verrückte Herz“ von Pero Magacioner, dem notorischen Lügner, der als Kind von einer Pflegefamilie zur anderen weitergereicht, später schlampiger Wohnungsausmaler und noch später, im Krieg, Dachdecker wurde, als keiner mehr den Job machen wollte, wegen der allgegenwärtigen Sniper. Pero wurde nicht erschossen, sondern fiel kurz vor Kriegsende vom Dach, brach sich das Rückgrat, sah aus „wie ein echter Picasso“. Dann ist da die Geschichte von der Lehrerin, deren ehemalige Schüler zu ihren Mördern werden. Ausgerechnet der kleine, der aussieht wie ein Engel, wird sie erschießen, sie hat ihn zuvor noch „mein Sohn“ genannt. Und diese Brigadistin, „schön wie eine Skulptur“? Schönheit kann „nicht ohne Folgen“ bleiben. Entweder großes Glück oder gewaltiges Elend. Man wird sehen.
„Vom menschlichen Eigensinn in Zeiten des Krieges“ hat Jergović seine Kurzgeschichten untertitelt. Er verbindet darin Lakonie mit Fantasie, schreibt Satiren, die einem das Herz brechen.