Sie liegen im Dunkeln, irgendwo auf dem Schlachtfeld. Zwei einst verfeindete Soldaten. Viel ist nicht von ihnen übrig, dem einen fehlen die Arme, dem anderen die Beine. Sand klebt in ihren Mündern, sie führen Selbstgespräche, erinnern sich an zu Hause.
Eben waren sie noch Kinder, jetzt ist das Leben schon vorbei. Der eine ist Hans Schmitt, der auch im Sterben noch an Hitler glaubt und sich sicher ist, dass seine Annemarie daheim nicht weinen wird, sie ist ja ein tapferes Mädel und er, er stirbt schließlich den Heldentod für Großdeutschland.
Die Mutter von Johnny hingegen, dem britischen Soldaten, sie wird bestimmt weinen, während sie weiter ihre Kartoffeln schält. Aber unten am Fluss bei den Weiden, wo Johnny als Kind gespielt hat, da werden auch später noch Kinder spielen, doch es werden nicht seine sein.
„Zwei Soldaten“, der erschütternde Monolog, später zaghafte Dialog zweier Sterbender, ist der letzte Prosatext der lange vergessenen Wiener Autorin Maria Lazar (1895–1948). Lazar, 2014 durch den Verleger Albert C. Eibl und dessen Verlag Das vergessene Buch wiederentdeckt, kennt das Wiener Theaterpublikum heute auch als Dramatikerin – im Akademietheater waren 2019 ihre Stücke „Die Eingeborenen von Maria Blut“ und „Der Henker“ zu sehen.
Ihr erstes Buch veröffentlichte Lazar mit gerade einmal zwanzig Jahren. „Die Vergiftung“ ist ein expressionistischer Roman, der hart mit der Doppelmoral des Wiener Bürgertums, aus dem Lazar selbst stammte, ins Gericht geht. Ihr Berlin-Thriller „Leben verboten“, der als ihr Hauptwerk gilt und unter dem Pseudonym Esther Grenen veröffentlicht wurde, war damals wie heute ein großer Erfolg.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 und in Folge des auch in Österreich immer repressiveren Klimas ging Lazar mit ihrer Tochter zunächst nach Dänemark und flüchtete 1939 nach Schweden, wo sie 1948, unheilbar krank, Selbstmord beging. Zuvor hatte sie ihren Nachlass sorgsam vorsortiert. Jahrzehnte lang blieb er in zwei Metallkisten verschlossen, bis er 2022 an das Literaturhaus Wien übergeben wurde. Neben bisher unveröffentlichten Romanen und Novellen wie „Zwei Soldaten“ und mehreren Theaterstücken, gehören Essays, Filmideen und zehn Gedichte zu diesem wiedergefundenen Schatz.
Sie sind nun erstmals in Buchform einem Publikum zugänglich, darunter das Gedicht „An meinen unbekannten Leser“, in dem Lazar ihr Verschwinden und ihre Wiederentdeckung vorauszuahnen scheint: „Ich kenne dich nicht und ich werde dich nie kennenlernen. Aber in fernen verregneten Tagen liegt mein Buch vor dir aufgeschlagen.“