T.C. Boyle: Das Elend soll bitte auf Abstand bleiben

Harmlose Regentropfen verwandeln sich in den kalifornischen Bergen in katastrophale Sturzbäche und Schlammlawinen. Beim Spaziergang danach besichtigt ein Mann den zerstörten Teil seiner Stadt aus sicherer Entfernung. Er möchte beim Gassi gehen mit dem Hund nicht die Schuhe ruinieren, nur um seine Schaulust zu befriedigen. Sein Haus wurde ja glücklicherweise verschont, das Elend ist für ihn auf Abstand geblieben.
„I walk between the Raindrops“ heißt die neue Erzählsammlung von T. C. Boyle und gibt auch gleich dieser ersten Geschichte ihren Namen. Die 12 weiteren Erzählungen handeln von selbstfahrenden Autos, von #MeToo oder vom gestörten Verhältnis zwischen Mensch und Natur, von Boyle oft mit rabenschwarzem Humor beschrieben.
In „Dies sind die Umstände“ gehen wohlstandsverwöhnte Leute für viel Geld zum „Naturbaden“ in den Wald, um dem Alltag zwischen Smartphone und Büro zu entkommen. Bis die Natur im eigenen Garten in Form einer Klapperschlange zuschlägt und das ist dann doch zu viel Wildnis-Erfahrung.
„Der dreizehnte Tag“ erzählt von einem älteren, gut situierten Ehepaar auf einem Kreuzfahrtschiff im Hafen von Yokohama, auf dem 2020 das Covid-19-Virus ausbricht. Das Schiff bleibt im Hafen, die Passagiere müssen in Quarantäne und entwickeln schnell klaustrophobische Gefühle. Ihre Kabinen fühlen sich an wie „eine Garderobe in einem Vorraum der Hölle“.
Es gibt aber auch Geschichten mit Happy End, wie die abschließende Erzählung, in der ein für medizinische Versuche im Zwinger gehaltener Hund das Gewissen eines ehrgeizigen Mediziners rührt und ihn das gequälte Tier entführen lässt.

T. C. Boyle:
„I walk between the Raindrops“; Ü: D. van Gunsteren, A. Grube
Hanser. 272 Seiten. 26,50 Euro
KURIER-Wertung: 4 1/2 von 5 Sternen