Aber die Reise war im Sonderangebot und nun befindet sich die Mittvierzigerin Rose, Psychotherapeutin aus Paris, auf dieser schwimmenden All-inclusive-Bettenburg. Alkohol ist extra zu bezahlen, es wird am Ende noch teuer.
Maire Darrieussecq schreibt mit „Das Meer von unten“ das Leben von Rose Goyenetche weiter, die man aus dem Roman „Prinzessinnen“ kennt (und wenn nicht, ist das hier auch egal). Rose will Abstand von ihrem Leben gewinnen, von ihrem Mann, Immobilienmakler und funktionaler Alkoholiker, sowie den Schulden, die man sich mit dem neuen Haus aufgehalst hat.
Sie verbringt die Weihnachtsfeiertage allein mit ihren Kindern, dem 15-jährigen Gabriel und der siebenjährigen Polyallergikerin Emma. Eines Nachts bricht Unruhe an Deck aus. Die Besatzung fischt Migranten aus dem Meer. Unter ihnen der Teenager Younès, der der schlaflos herumstreunenden Rose quasi vor die Füße fällt. Aus einem hilflosen Reflex des etwas tun Wollens, aber nicht Wissen, was, schenkt sie ihm ein iPhone – das ihres Sohnes.
Zurück daheim bewältigt die Familie den Umzug in eine Kleinstadt, wo Rose ursprünglich herkommt. Paris ist für den Mittelstand nicht mehr finanzierbar, doch die Sehnsucht nach der Hauptstadt lässt Rose nicht los. Und immer wieder meldet sich Younès mit dem Handy ihres Sohnes wieder. Ein paar Caipirinhas später hat sie eine Weste vom Katholischen Hilfswerk über den Schultern und nimmt Younès zumindest vorübergehend in ihre Familie auf.
Könnte es sein, dass Rose ihre Midlife-Crisis mittels Rettungsaktion für den jungen Nigerianer bewältigen will? So einfach ist das nicht. Rose ist keine Mutter Teresa, sie weiß wohl nicht einmal selbst, was sie da tut, und Darrieussecq lässt genug Raum, dass man sich auch als Leser diese Frage stellt.
Hätte sie nicht mit der eigenen Familie genug um die Ohren? Möglicherweise hilft ihr Younès doch ein Stück weit auf der Flucht vor sich und dem Provinzleben. Das allein wäre aber zu wenig als Schlussfolgerung, denn zynisch ist Darrieussecq nicht. „Das Meer von unten“ ist eine genau beobachtete, stellenweise ätzende Gesellschaftssatire, die einen in dem Maß mit offenen Fragen zurücklässt, wie es auch manche zeitgenössische Herausforderung tut. Dank feiner Ironie ein wunderbares Lesestück.
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