Isaac B. Singer: Tarnen und täuschen, um der Hölle zu entgehen

Isaac B. Singer: Tarnen und täuschen, um der Hölle zu entgehen
Noch ein Roman des 1991 verstorbenen Nobelpreisträgers: Ein trauriges Buch, trotz komischer Seiten

Man kann sich Hertz Minsker, so heißt der Einwanderer aus Polen, als jemanden vorstellen, der gegen eine ganze Bande von Kobolden, Waldschraten und Dämonen Schach spielt.

Sie versuchen ihn in New York gemeinsam in eine Ecke zu treiben – und das mag er! Komplikationen gefallen ihm auf perverse Weise! Z.B. schläft er mit der Ehefrau seines einzigen Freundes, der ihm immer Geld zusteckt.

Er ist keineswegs in diese Frau verliebt, die mit schlechten Gedichten hofft, von Amerika entdeckt zu werden.

Aber es ist ... spannend.

Genie und Macht

Es ist der Vitaminschub, den er braucht, um nicht am „spirituellen Skorbut“ zu erkranken. Lügen und betrügen ist Ablenkung, sonst wäre das Leben die Hölle (sagt er).

Hertz weiß es selbst: Er ist ein Scharlatan – er täuscht vor, an einem Buch zu arbeiten, ständig macht er sich Notizen über seine „Humanforschung“, er wird deshalb für ein Genie gehalten, das verleiht ihm Macht ... während sich seine Ehefrau (übrigens die vierte) am Fließband in einer Fabrik für Haarnetze abstrudelt: Um Hertz nach Amerika zu folgen, ließ sie sich in Polen scheiden -  und ihre Kinder zurück.

Jetzt plagen sie Gewissensbisse – sie weiß nicht, ob sie nach dem Einmarsch der Deutschen überhaupt noch leben.

Hertz Minsker will nicht, dass sie in die Fabrik geht. Er sagt (ganz im Ernst): „Wenn es zum Schlimmsten kommt, kann ich auch etwas arbeiten.“ – „WAS?“ – "Immobilien.“

Der spätere Literatur-Nobelpreisträger Isaac B. Singer, als 34-Jähriger 1937 von Warschau nach New York gekommen, schrieb viel; und oft Fortsetzungsromane für die – mittlerweile eingestellte – jiddische New Yorker Tageszeitung Forverts.

1977 etwa „Jarmy und Keila“, als er das Schtetl ein letztes Mal aufleben ließ.

„Der Scharlatan“ wurde 1967/1968 abgedruckt. Der Stil ist etwas steifer als bei Singer üblich.

Jetzt, 63 Jahre später, gibt es diesen Roman erstmals als Buch („Jarmy und Keila“ kamen schon 2019 an die Reihe.)

Neue Menschen

Ein trauriges Buch, trotz einiger komischer Seiten.

Isaac B. Singers Personal ist überschaubar: Juden aus Polen und Russland, gerade noch der Vernichtung entkommen, lesen in New York in den Zeitungen von Stalin und Hitler – und suchen (trotzdem) nach eigenen Fehlern.

Während Freunde und Verwandte umgebracht werden, bemühen sie sich, in der Neuen Welt neue Menschen zu werden. Reiche, wenn’s geht. Sie stellen Vergleiche an: Wer von uns ist besser besser?

Manche, wie Hertz, verirren sich in Schürzenjagden.

Oder nehmen wir Bessie Kimmel: Sie veranstaltet Seancen, und alle merken, dass nicht die Toten erscheinen und Antwort geben, sondern dafür eine arbeitslose Schauspielerin engagiert wurde.

Man schwindelt weiter. Man lässt sich weiterhin etwas vorschwindeln.

Isaac B. Singer schrieb immer jiddisch. Einer seiner Übersetzer ins Englische bemerkt, im „Scharlatan“ stecke Selbstkritik – denn auch der berühmte Schriftsteller habe seine Machtposition verwendet, um Frauen zu verführen.


Isaac Bashevis Singer:
„Der Scharlatan“
Übersetzt von
Christa Krüger.
Jüdischer
Verlag im Suhrkamp Verlag.
396 Seiten.
25,70 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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