Irvin und Marilyn Yalom: Ein Denkmal für ihre Liebe

Irvin und Marilyn Yalom: Ein Denkmal für ihre Liebe
Der weltberühmte Psychotherapeut und seine Ehefrau haben "Unzertrennlich" geschrieben: Zufrieden stirbt sich's leichter

„Stirb zur rechten Zeit!“ hatte Nietzsche gefordert. Nicht zu spät, nicht zu früh.

Daran denkt Irvin Yalom, der weltberühmte Psychotherapeut und Geschichtenerzähler. Er ist fast 88 und seit 65 Jahren mit der Literaturwissenschaftlerin Marilyn verheirat.

Mit 15 hatte er sich in sie verliebt.

Jetzt stirbt sie (2019).

Knochenmarkkrebs.

Was macht man, um nicht zu verzweifeln? Jahrzehntelang hat Irvin Yalom Menschen nach dem Tod des Ehepartners begleitet.

Tabletten

Marilyn bestand darauf, mit ihm gemeinsam ein Buch zu schreiben. Eine Art Tagebuch über ihr Sterben und sein Weiterleben.

Er überlegt in einem Kapitel, was nach ihrem Tod sein wird. Sie liest es und schreibt nun ihr Kapitel („Ich bin bewegt und verunsichert“). Immer öfter geht es um die körperlichen Schmerzen, von denen sie sich mithilfe eines Arztes und einer Tablettenmischung schließlich erlösen ließ.

In Kalifornien, sie lebten nahe San Francisco in Palo Alto, ist das in aussichtslosen Fällen erlaubt.

Marilyn Yalom fand, mit 87 ist es keine Tragödie zu sterben. Sondern – Nietzsche! – die rechte Zeit.

Beide haben zuletzt gedacht: Die Kinder und Enkelkinder sind längst im Leben angekommen – in zig Büchern haben beide vermutlich alles gesagt, was sie zu sagen hatten – demnach sei man ... reif

Ein Glas Kognak während des Lesens von „Unzertrennlich“ ist nicht die schlechteste Idee.

Trauern als Preis

Ab Seite 195 (von 320 Seiten) ist Marilyn tot.

Jetzt erst versteht Irvin Yalom, warum sie so vehement darauf bestanden hat, das Buch gemeinsam zu schreiben. Weil er es allein zu Ende bringen muss und das Schreiben ihm die größte Hilfe sein wird.

Das Schreiben und das Blättern in seinen von ihm verfassten alten Büchern, (Irvin Yalom ist vergesslich geworden). Er liest:

„Je geringer die Zufriedenheit im Leben, desto größer die Angst vor dem Tod.“

Er liest seine Worte (und dieser Satz ist „Unzertrennlich“ vorangestellt):

„Trauern ist der Preis, den wir zahlen, wenn wir den Mut aufbringen, andere zu lieben.“

Irvin Yalom begegnet seit dem 20. November 2019 ständig einem Teil seiner Selbst, der hartnäckig glaubt, dass seine Frau noch am Leben ist.

„Das muss ich Marilyn erzählen!“

„Unzertrennlich“ ist ein Denkmal für die Liebe.

Es gab kein größeres Vergnügen für ihn, als Händchen mit Marilyn zu halten.

Bitte ein zweites Glas Kognak.


Irvin D. Yalom und Marilyn Yalom:
„Unzertrennlich“
Übersetzt von
Regina
Kammerer.
btb.
320 Seiten.
22,70 Euro

 

Marilyn Yaloms Buch über Kinder im Zweiten Weltkrieg

Wie es nachhallt, bis zum Ende: dass man Kind war im Zweiten Weltkrieg, dass man zu verstehen versuchte, was geschah und damals ein halbwegs „normales“ Leben führte, während die Eltern ums Überleben kämpften.
Sie wurden um die Unschuld der Kindheit gebracht.
Marilyn Yalom hat  sechs Freunde / Freundinnen erzählen lassen. Kluge Leute aus Europa und Amerika, die viel über die Sinnlosigkeit des Kriegs zu sagen haben. Bei ihnen führten die  Erfahrungen  nicht zu gebrochenen Persönlichkeiten – sie klingen  nach Menschenliebe (die Hälfte  ist mittlerweile tot): Der eine wurde Herzchirurg, um Leben zu retten. Ein anderer wurde Botschafter, um internationale Konflikte zu verhindern und so weiter.
Wie das nachhallen wird: dass man Kind  auf der Flucht ist, nirgendwo willkommen. Marilyn Yalom kann ein solches Erinnerungsbuch nicht mehr schreiben.


Marilyn Yalom: „Die Unschuld der Opfer“
Übersetzt von Cornelia
Holfelder-von der Tann.
btb
288 Seiten.
12,40 Euro

KURIER-Wertung: ****

Kommentare