Helga Schubert ist erst mit achtzig berühmt geworden. Dabei schreibt die aus Ostberlin stammende Psychologin seit Jahrzehnten. 1980 wollte sie beim Wettlesen um den Bachmannpreis teilnehmen, man ließ sie nicht aus der DDR ausreisen. 2020 gelang mehr als die Teilnahme. Schubert siegte und wurde auch bei uns bekannt. Der Gewinnertext „Vom Aufstehen“ erschien im gleichnamigen Buch, das zum Bestseller wurde. Darin deutete sie bereits an, dass ihr Mann, der ihr Jahrzehnte lang das Frühstück gemacht hatte, nun ein Pflegefall sei. Johannes Helm war Professor für Klinische Psychologie an der Berliner Humboldt-Universität. Heute wird er palliativ umsorgt. Von Pflegekräften und von seiner Frau.
In ihrem neuen, autobiografischen Roman erzählt Schubert vom Leben in der DDR, von früheren Beziehungen, vor allem aber vom Leben an der Seite ihres dementen Mannes. Intim und persönlich, niemals selbstmitleidig berichtet sie von Herausforderungen, denen sie sich oft nicht gewachsen fühlt. Die auch darin bestehen, den Bettbeutel des Blasenkatheters ihres Mannes, den sie hier „Derden“ nennt, zu wechseln. Warum das alles?
„Die Amsel sang wieder einmal so schön, Derden hörte sie, und ich dachte an die Ärztin, die mir kürzlich sagte, nun müssen Sie aber auch seinem Körper die Möglichkeit geben zu sterben! Hören Sie auf, ihm so hohe Dosen Kalium zu geben. Damit verlängern Sie doch sein Leben! Was für eine Anmaßung gegenüber der Schöpfung, dachte ich. Als ob ich Herrin darüber sein dürfte. Ein bisschen Sahnejoghurt im Schatten, eine Amsel singt, Stille. So darf ein Leben doch ausatmen.“
Dem Roman ist ein Zitat aus dem Matthäus-Evangelium vorangestellt. Jeder Tag habe seine Aufgaben, die es zu bewältigen gelte. Eine nach der anderen, bevor man an das Morgen denkt. Man kann darin den Sinn des Lebens sehen.
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