Heinrich Steinfests "Amsterdamer Novelle" gehorcht einem Foto

Heinrich Steinfests "Amsterdamer Novelle" gehorcht einem Foto
Was macht Herr Paulsen auf einem Rad in Amsterdam, wenn er noch nie in Amsterdam war?

Manchmal genügt ein Foto.

Heinrich Steinfest ist schon einmal mit einer grünen Rollo gut ausgekommen, um seine Fantasien auf dem Papier auszuleben. Ein anderes Mal hat bei ihm ein Klavier Mensch gespielt (nicht umgekehrt); und wenn man bedenkt, dass Stephen King in einer Kurzgeschichte allein ein mobiles Klo hatte, um für großes Entsetzen zu sorgen ...

Das Foto sollte genügen.

Kurze Hose

Steinfests Sohn hat es ihm aus Amsterdam mitgebracht. Ein Handyfoto, das einen Radfahrer zeigt, und der sah wie sein Vater aus. Kann vorkommen. (Man erinnert sich an einen Montag im 1977er Jahr, als der Englischlehrer in der Schule plötzlich unfreundlich war, weil man ihn im Rapid-Stadion letzten Samstag nicht gegrüßt hatte.

Aber man war nicht im Rapid-Stadion.)

Heinrich Steinfest – heuer schon mit „Die Möbel des Teufels“ (= Dan Brown auf hohem literarischen Niveau) in den Buchhandlungen – hat daraus die „Amsterdamer Novelle“ gemacht.

Also: Es fotografiert ein junger Mann beruflich schöne Häuser in Amsterdam, und auf einem Bild sieht er später bei genauer Durchsicht eine merkwürdige Gestalt hinter einer Fensterscheibe. Baby? Alte Frau? Gespenst?

Und vor dem Haus, da radelt sein Vater. Kurze schwarze Hose, Brille, Glatze, Bäuchlein ...

Der Vater ist aus Köln. Ein Visagist beim Fernsehen. Nie war er in Amsterdam. Er trägt keine kurzen Hosen. Auf einem Fahrrad ist er nur als Kind gesessen. Jetzt wird die Geschichte ganz Steinfest. Mit dem Foto konfrontiert, übt dieses schmale, dreistöckige Haus eine schicksalshafte Anziehungskraft aus: Herr Paulsen, das ist der Kölner, reist nach Amsterdam.

Rechnet er damit, dem Doppelgänger zu begegnen? Oder sich selbst? Die Haustür ist nur angelehnt. Er geht hinein. Es sieht nach einer Anwaltskanzlei aus.

Kabinett

Das ist ein schmales Buch. Der Autor ist als großer Abschweifer bekannt. Schreibt er über entführte Passagiere im ICE, rechnet er aus, dass ein erwachsener Tyrannosaurus jährlich 292 Rechtsanwälte fressen muss, um zu überleben.

Er schafft es auch in der „Amsterdamer Novelle“, Disneys Mäusepolizei „Bernard und Bianca“ unterzubringen – und Martin Heideggers „Zeit und Sein“, der allerdings gut passt.

Mehr Abschweifungen gehen sich diesmal aber nicht aus.

„Das war kein Problem, ausnahmsweise mal räumlich etwas reduziert zu sein“, sagt er. „Also nicht in den vielen Zimmern und Stockwerken und auch noch im weitläufigen Garten eines Romans mich zu bewegen, sondern allein im einzigen, aber durchaus geräumigen Kabinett einer Novellenform. Auf hundert Seiten ist auch viel Platz.“

Ohne die Novelle durch zu viele Informationen umzubringen:

Das Foto muss erfüllt werden. Kurze Hosen werden sich auftreiben lassen.

(Ins Rapid-Stadion ist man auch nachher nie gegangen.)


Heinrich Steinfest:
„Amsterdamer
Novelle“
Piper Verlag.
112 Seiten.
15,95 Euro

KURIER-Wertung: ****

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