Afrika, die Sehnsucht ihrer kleinen Tochter Giada, die Anfang der 1940er-Jahre bei der Tante in der Lombardei lebt, bevor sie nach Kriegsende endlich zur Mutter nach Eritrea darf. Eritrea war jahrzehntelang italienisches Kolonialgebiet. In der Hafenstadt Massaua lässt sich’s ebenso gut italienische Spezialitäten einkaufen wie in Rom oder Mailand und im Kino laufen Filme mit Totò. Im benachbarten Äthiopien, genauer gesagt in Addis, hat Juventus, die in Afrika beliebteste Fußballmannschaft, eine berühmte Bar.
In dieser kosmopolitischen Stadt, auf deren Straßen man Italienisch, Griechisch, Englisch, Französisch, Arabisch und Armenisch hört, wird Giada mit Mann und Sohn neben ein paar schrecklichen auch die schönsten Jahre ihres Lebens verbringen. Lasagne kochen und Italien in Afrika spielen. So lange, bis es für Italiener in Ostafrika keine Zukunft mehr gibt.
Kaffee für die Gazelle
Zunächst aber ist Giada vom schlichten Leben in Afrika, das die Mutter ihr doch ganz anders verkauft hat, enttäuscht. Sie hilft in der Bar mit, verkauft Kaffee und Panini an die ausschließlich italienische Kundschaft. Ihre erste große Liebe ist eine Gazelle. Das Tier mit den tiefschwarzen, glänzenden Augen trinkt gerne Milchkaffee und speist Salat ausschließlich mit Essig und Öl. Wenig später wird Giada an der Seite ihrer Schwiegerfamilie lernen, dass Gazellen zum Jagen da sind und nicht, um lieb gehabt zu werden. Diese Schwiegerfamilie wird ihr auch erklären, was es mit den Italienern und den Afrikanern auf sich hat: Man habe Kultur und medizinische Versorgung hierher gebracht, „Afrika verdankt uns alles.“ So oder so ähnlich hat Giada das schon öfter gehört, nicht zuletzt von den vielen Anhängern des Duce – hier, aber auch in Mailand.
Giulia Caminito, 1988 in Rom geboren, wurde bei uns mit ihrem Erster-Weltkrieg-Roman „Ein Tag wird kommen“ bekannt. In „Das große A“ beleuchtet sie ein weniger bekanntes Stück Zeitgeschichte: Italien als Kolonialmacht. Detailreich (manchmal zu sehr) schildert sie anhand des Schicksals ihrer Protagonistin Giada, die sich vom unbedarften, schmächtigen Mädchen zur weltgewandten Signora entwickelt, die Historie Italiens in Ostafrika. Klug und durchaus widersprüchlich ist diese Geschichte. Auch deshalb, weil Caminito entgegen gängiger Postkolonialimus-Theorien ein sehr differenziertes Bild Ostafrikas unter der Kolonialherrschaft zeichnet. Und andeutet, dass der Weg in die sogenannte Freiheit steinig würde. Die unangepasste Adele drückt es so aus: „Keiner ist frei, aber alle tun so, als wären sie keine Gefangenen.“ Dieser Roman erzählt, was auch zu Italien gehört und leistet somit, was Literatur im Idealfall zu leisten vermag. Er verändert den Blick auf die Welt, diesfalls die italienische Welt.