David Vann über den Vater, der im falschen Leben war

David Vann über den Vater, der im falschen Leben war
"Momentum" ist ein Roman über Depressionen. Und ein Heilbutt fliegt in den Weltraum.

Jahrelang hat David Vann (Foto oben) über seinen Vater gesagt, er sei an Krebs gestorben.

Aber Jim Vann, er war noch nicht 40, hat Selbstmord begangen. Er war im falschen Leben.

Momentum“ ist der Roman dazu. Wobei dieses Titelwort so unnötig oft verwendet wird, dass man sich die Übersetzung des Originals gewünscht hätte: Heilbutt auf dem Mond, halibut on the moon.

Alaska

Hat mit einem angeblichen Experiment der NASA zu tun: Man nahm zu Testzwecken einen Heilbutt zum Mond mit und ließ ihn nicht am Leben, sondern ließ ihn oben los – der Heilbutt flog.

Jim Vann sagt im Roman: Jeder sollte einen solchen wunderschönen Flug im Sinn haben, denn mehr gibt’s nicht, niemand überlebt.

Er denkt dabei an seinen Flug, die Pistole hat er immer in der Tasche.

Die Vanns stammen aus Alaska. Jim Vann war Zahnarzt. Er wollte nie Zahnarzt werden.

Momentum“ beginnt damit, dass er zu seinem Bruder Gary nach San Francisco fliegt. Dort wird ein Psychotherapeut besucht, der ein Medikament verschreibt. welches erst in 14 Tagen wirkt. Gary darf Jim nicht allein lassen.

Jim besucht seinen kleinen Sohn und seine kleine Tochter. Er hat kaum noch Kontakt zu ihnen.

Er besucht seine zwei Ex-Frauen. Beide hat er betrogen, der zweiten Ehefrau, die er möglicherweise wirklich geliebt hat, brachte er von Prostituierten Filzläuse heim. Jim hat beide Ehen kaputt gemacht. Und große Steuerschulden hat er. Und außerdem ist Jim nicht so fesch wie sein Bruder, nicht so jung und nicht so groß.

Man besucht die Eltern, Jim ist beleidigend, unlogisch, verrückt, er hat eine manische Phase, er redet und steigert sich hinein, über Sex und Heilbutt redet er, über den Tod ... seine Kinder fürchten sich.

Niemand kann mit Jims Depressionen umgehen.

Nein, er ist nicht zu seiner Familie gekommen, um Schutz zu suchen. Er kam, um sich von allen zu verabschieden ...

Gern lässt man sich auf dieses Thema nicht ein. Aber man wird nicht aufhören, sich erschüttern zu lassen

An diesem Versuch, dank Literatur den Vater 40 Jahre „danach“ zu verstehen, ist nichts falsch. Es geht nicht darum, die Tat zu verstehen, sondern die Krankheit mit dem Gefühl, ständig vom Leben gef... also: schlecht behandelt zu werden.

Der alte Vater von Jim (der Großvater des Autors) gesteht gegen Ende, er wäre so gern Trapper geworden, Fallensteller, Pelztierjäger. Er war ebenfalls Zahnarzt und sagt jetzt: „Es ist egal, ob du leidest oder ob dein Leben nicht so verlief, wie du dir das vorgestellt hast. Man macht trotzdem weiter ... Du lebst einfach dein Leben. Das ist alles.“

Jim: „Ich werde nicht jeden Tag leiden, nur um weiter zu leiden.“

„Woher hast du die fixe Idee, dass du glücklich sein könntest?“

 

David Vann:
Momentum
Übersetzt von Cornelius Raiber.
Verlag
Hanser Berlin.
320 Seiten.
24,70 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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