Salim stammt, ebenso wie Autor Gurnah, aus dem ostafrikanischen Sansibar, das bis 1963 von den Briten besetzt war. Das darauffolgende Sultanat wurde durch eine von kommunistischen Ländern unterstützte „Revolution“ beendet, die Leidensgeschichte des Landes ging indes weiter.
Gurnah macht in seinem Roman „Das versteinerte Herz“, 2017 im englischen Original und nun auf Deutsch erschienen, sehr deutlich, dass die Beseitigung der Kolonialherrschaft allein nicht die Antwort auf alle Fragen war. Und das ist die große Leistung dieses glänzend erzählten Romans. Denn die Postkolonialismuserzählung, die nun wieder die Kulturdebatten beherrscht, ist mitunter simpel. In der Opfer-Täter-Frage zwischen „globalem Süden“ und „Westen“ bleibt selten Raum für Grautöne. Literaturnobelpreisträger Gurnah schafft ihn.
Sein Protagonist Salim wächst in den 1970ern in Sansibar auf. Nach dem Staatsstreich, der die arabischen Eliten vertrieb, die sich der Inselgruppe nach dem Abzug der Briten bemächtigt hatten, geht es der Bevölkerung mitnichten besser. Nach der von Russland unterstützten „Volksrepublik Sansibar“ ist Sansibar nun Teil von Tansania, ein Einparteienstaat voll Gewalt und Korruption. Salim ist sieben, als sein Vater die Familie verlässt und den Rest seines Lebens im Hinterzimmer eines Greißlers verbringt. Salim erfährt erst 30 Jahre später, warum. Sein Onkel Amir, den er da noch vergöttert, geht nach London und macht Karriere als Diplomat. Er holt Salim nach und erwartet von ihm Dankbarkeit in Form eines erfolgreichen Abschlusses einer Vorzeigeausbildung wie Betriebswirtschaft. Salim interessiert sich jedoch nur für Literatur, der Onkel schmeißt ihn daraufhin hinaus, und Salim muss sich künftig allein durchschlagen, was im leidlich gelingt. Natürlich erfährt er Rassismus, hier ausgerechnet von einer anderen Einwanderercommunity. Die indische Familie seiner Verlobten lehnt ihn als „muslimischer Nigger“ ab. Mit der muslimischen Community wird er aber auch nicht warm. Nach dem 11. September ist er entsetzt über deren Verschwörungstheorien, laut denen das ganze „ein Komplott von Kissinger und den Juden“ sei.
Doch „Das versteinerte Herz“ ist kein rein politischer Roman. Gurnah ist ein facettenreicher Erzähler. Salims Geschichte ist auch ein klassischer Entwicklungsroman, dank der Familienrätsel (die letztlich auch politisch sind) außerdem enorm spannend.
Wo kommt er her, wo gehört er hin, wird sich Salim fragen und, weil dies ein kluges Buch ist, natürlich keine Antwort finden.