Wie zum Hohn klebt die Bräune Kubas noch an ihm, als Leon, tagelang nur mit Bademantel und Stricksocken bekleidet, in sich versinkt, allein mit seiner Trauer, seinen Schuldgefühlen und den alten Textnachrichten seiner Mutter. Die Trauerarbeit ist längst noch nicht bewältigt, da folgt das nächste Unheil. Leon hat Hodenkrebs. Draufgekommen ist er, als er nach einem Bühnenunfall mit seiner Punkrockband ertasten wollte, ob noch alles dran ist.
Es folgen: Operation, Genesung, Selbstsuche inklusive Rückschau in eine schwierige Kindheit. Es treten auf: eine sich auflösende Mutter, ein zum Buddhisten mutierter Punk und ein Vater, der sich sicher ist, der Krebs sei traumabedingt und Leon solle weder Mainstream-Medizin noch Mainstream-Medien Glauben schenken.
Es mag an dieser Stelle überraschend kommen: Stephan Roiss’ zweiter Roman „Lauter“ ist ein lebensbejahendes Buch. Wie sich Leon mit eigener Kraft, aber auch mithilfe rührender Freunde aus seiner schwierigen Lage herauslaviert, ist lebendig und mutmachend. Dieser Roman strotzt zudem vor bildstark erzählten Momenten, die davon berichten, wie schön das Leben sein kann. In einer Fülle von Szenen, die einem auch längst, nachdem man das Buch weggelegt hat, im Gedächtnis bleiben. Etwa die, als Leon („42 Prozent schwul“) und Paolo („69 Prozent schwul“) nach einer Gitarrenjamsession in einer Höhle auf der Insel Stromboli aus der Finsternis treten, über ihnen die Sterne, vor ihnen das Meer. Roiss malt in präziser, musikalischer Sprache Bilder, die man sehen, hören, sogar fühlen kann. Etwa in Kindheitserinnerungen: „Wir löffelten hastig Buchstabensuppe, denn wir wollten betäubte Zungen haben.“ Rückblenden sind hier von der Hauptgeschichte durch eingerückte Absätze getrennt. Das kann man manieriert finden, doch die Sperenzchen ergeben am Ende Sinn: Der Mann wird eins mit sich – ebenso, wie der Text einheitlich wird.
Punkrockliebe
Leon schafft es dank seiner Freunde, allen voran der Punkrockband-Kolleginnen Milena und Vio, wieder auf die Beine zu kommen. „Kleiner“ nennt ihn Erstere (nicht, weil er so klein, sondern weil sie so groß ist). Zweitere, die, so wird es angedeutet, mehr als Kollegin und gute Freundin ist, ruft ihm immer wieder zärtlich zu: „Lass die Haare wehen!“
Eine neuerliche Reise in den Süden, diesmal über Venedig nach Stromboli, wird ihn mit sich selbst versöhnen. Am Ende steht ein „Carpe diem“ samt leise-ironischer Kritik an den Marotten des modernen Menschen: Dieser, wird eine Mitreisende auf dem Boot nach Stromboli sagen, beweise seine Kraft, in dem er Delfine sehe, aber nicht fotografiere.