Richard Russo: Das beste Bier gibt’s bei Birdie

Da ist er wieder, Polizeichef Raymer. Das letzte Mal ist er bei einem Begräbnis kollabiert, ins offene Grab gefallen und hat dabei das einzige Beweisstück dafür verloren, dass seine Frau ihn betrogen hat. Das ist jetzt aber auch egal, sie ist längst tot. Über die Treppe gestürzt. Raymer hatte keine rutschfeste Unterlage unter den Läufer gelegt. Zehn Jahre ist das her, und die Vorwürfe, die er sich deshalb macht, sind nur eines von seinen vielen Problemen. Andere wären: Seine Therapeutin sagt immer das Gleiche wie seine (Ex-?) Freundin, Charice, und die ist mittlerweile die erste schwarze Polizeichefin im Nachbarort. Gemeinsam mit ihr muss er jetzt wegen dieser verwesten Leiche ermitteln, die in einem heruntergekommenen Hotel am Stadtrand vom Treppengeländer baumelt.
Klingt ungemütlich. Und doch: Richard Russos neuer Roman ist eines dieser Bücher, die wie ein Nachhausekommen sind. Dabei ist es nebensächlich, dass „Von guten Eltern“ so etwas wie der dritte Teil seines Erzähluniversums über die Geschicke einer Kleinstadt namens North Bath im Bundesstaat New York ist. Man muss die Vorgänger „Straße der Narren“ (1994) und „Ein Mann der Tat“ (2017) nicht gelesen haben, um sich hier zurechtzufinden. Um zu wissen, wo Harold’s Automotive World liegt, welches Diner bald zusperrt und wo man das beste Bier bekommt (bei Birdie im Horse an der Ausfallstraße). Wie jedes Nachhausekommen ist auch dieses durchwachsen. Es wird etwas zu viel gequatscht und mancher alte Bekannte nervt, weil er seit dreißig Jahren dieselben Ticks hat. Aber man ist froh, da zu sein. Und hofft auf ein verregnetes Wochenende, damit man daheimbleiben bleiben und lesen kann.
Russo breitet sein Kleinstadttableau ebenso leut- wie redselig aus. Es war zu befürchten gewesen, dass es mit Bath nicht so weitergehen würde. Mehr Löcher als Asphalt auf den Straßen, im Horse nur mehr Burger statt Steaks und die Müllwagenflotte altersschwach. Unvermeidlich, dass Bath vom Nachbarort eingemeindet wurde. Schuyler schwimmt im Geld, hier gib’s schicke Restaurants, Kunstgalerien und ein versnobtes College. Und immer weniger Leute, die sich das Leben leisten können. Mitten drin: Menschen wie Janey, die nur auf Typen steht, die mies zu ihr sind; wie Rob, der aus dem Irakkrieg mit einem Bein weniger heimgekommen ist, oder wie Peter, der als Collegeprofessor Erfolg, als Vater allerdings versagt hat.
Melancholische, zart-komische Alltagsgeschichten aus dem Land der begrenzten Möglichkeiten. Richard Russo erzählt eine Spur zu viel. Aber so ist das eben mit dem Nachhausekommen. Es ist manchmal auch ein bisserl mühsam.

Richard Russo:
„Von guten Eltern“. Übersetzt von Monika Köpfer. Dumont.
573 Seiten.
29,50 Euro