Amy Waldman über Afghanistan: Will jemand die Welt retten?

Amy Waldman über Afghanistan: Will jemand die Welt retten?
„Das ferne Feuer“ ist ein Roman, aber man kann ihm mehr trauen als angeblichen Tatsachenberichten

Zwischen schwindeln und erzählen ist gar kein großer Unterschied.

In der persischen Sprache gibt es ein Wort, das beides bedeutet.

Amy Waldmans „Das ferne Feuer“ ist ein Roman. Folglich darf sie schwindeln.

Aber – auch die Literatur ist kompliziert – man bekommt von der Journalistin, die acht Jahre für die New York Times arbeitete, Wahrheiten.

Über Afghanistan. Krieg. Amerika. Über Versuche, die Welt zu retten..

„Das ferne Feuer“ schließt unaufdringlich Wissenslücken und hat eine Kraft, Bilder zu zerstören, mit denen man es sich so fein eingerichtet hat.

Jetzt ist zu lesen, auf der Seite 488:

„Die Rettung anderer konnte zur Sucht werden. Aber erst jetzt ging ihr allmählich auf, wie ungeheuerlich die Konsequenzen sind. Die Rettung dauerte nicht lang, die daraus resultierende Verantwortung ewig ...“

Es steht ein weißer Würfel im Nirgendwo von Afghanistan, eine zweistöckige Geburtsklinik. Der amerikanische Arzt Gideon Crane hat sie spendiert, und darüber hat er ein Sachbuch geschrieben, einen Bestseller:

Wie er einer gebärenden Frau helfen wollte – wie die Männer im Dorf ihm verboten hatten, sie nackt zu sehen – sie musste deshalb sterben– so etwas soll nie wieder geschehen.

Aufpreis

Auch die Berkeley-Studentin Parvin ist von diesem Wohltäter und seinem „Erlebnisbericht“ begeistert. Sie hat afghanische Wurzeln, kann die Sprache und will in der Klinik helfen.

Medizin studiert sie nicht, sondern Anthropologie. Macht ja nichts. Oder?

Die von Crane gepriesene Gastfreundschaft lernt die 21-Jährige gleich nach der Ankunft kennen: Im Ziegenstall darf sie schlafen.

Nur gegen Aufpreis.

Sonst hätte sie mit allen Familienmitgliedern, es sind mehr als zehn, in einem Zimmer schlafen müssen.

Die Afghanen haben nämlich genug von der „Hilfe“ aus Amerika.

Hochstapler

Die Geburtsklinik ist leer. Nichts stimmt, was der Wohltäter geschrieben hat. Er ist ein Hochstapler.

Mittels Spenden war der weiße Würfel hingestellt worden, niemand kümmerte sich um weibliches Personal.

Es ist auch nicht richtig, dass die Männer den Arzt damals nicht helfen ließen – der Kerl war unfähig, nur deshalb starb die Frau.

Jetzt kommen auch noch amerikanische Soldaten ins berühmt gewordene Dorf. Sie bauen eine asphaltierte Straße. Sie sagen, diese komfortable Verbindung soll Ärztinnen anlocken. In Wahrheit soll es Truppentransporte ermöglichen. Am Ende wird im Dorf geschossen.

Amy Waldman - Foto oben - erzeugt mit schlichtem Stil größte Wirkung. Der Ärger ist groß, dass man sich auf nichts, schon gar nicht auf „Authentisches“ verlassen kann..

Und: Du bist nicht Herr(in) deiner Motive beim Helfen.

Ein Satz schmerzt besonders, man will ihn nicht unterschreiben. (Aber wenn er richtig ist?) Nämlich dass man sich davor hüten sollte, die Welt retten zu wollen.


Amy Waldman:
„Das ferne Feuer“
Übersetzt von Brigitte Walitzek.
Schöffling
Verlag.
496 Seiten.
26,90 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

 

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