Alles über Pedro Almodóvar
Mutter, Kirche, Travestie. Das Almodóvar-Basis-Rezept. Die Zubereitung: Immer, wenn man das Gefühl hat, dass er jetzt endgültig übertreibt. geht er einen Schritt weiter. Und meistens hat er recht. Zumindest im Kino funktioniert das so gut wie immer.
Der 74-jährige spanische Filmemacher Pedro Almodóvar hat mit „Der letzte Traum“ sein erstes Buch vorgelegt. Eine Kurzgeschichtensammlung. Die erste der 12 Erzählungen hat er 1967 begonnen, die letzte 2022 vollendet. Auch hier sind seine Hauptdarsteller und Hauptdarstellerinnen (die Grenzen sind oft fließend) Mütter, Transsexuelle, Dragqueens, alternde Diven, exaltierte Pornodarstellerinnen, vor Eifersucht tobende Liebhaber – mal schwul, mal hetero. Aufgetakelt, hysterisch, am Rande des Nervenzusammenbruchs. Mittelmaß gibt es keines. Der Ex-Punk und Melodramatiker Almodóvar arbeitet da wie dort mit Primärfarben.
Dass diese grellen Erzählungen einer „kryptischen Autobiographie denkbar nahe kommen“, wie er angibt, muss kein Widerspruch sein. Das echte Leben ist so grell wie das nacherzählte. Die Storys zeigen „die enge Verbindung zwischen dem, was ich schreibe, was ich filme, was ich lebe.“ Klingt anstrengend, ist aber Hauptbestandteil der Magie, die sein kreatives Universum ausmacht. Almodóvar, einer der bedeutendsten Protagonisten des kulturellen Aufbruchs in Spanien nach Ende der Diktatur, kritisierte Missbrauch in der Kirche ebenso, wie er Hommagen an queere Lebenswelten schuf – ganz selbstverständlich, ohne je zum Eiferer zu werden.
Schlechte Erziehung
Als junger Mensch habe er davon geträumt, einen großen Roman zu schreiben. Die Zeit habe ihm gezeigt, dass das, was er zu Papier brachte, keine literarischen Erzählungen, sondern Skizzen für Drehbücher waren, schreibt er selbstkritisch. Abgesehen vom kurzatmigen, zielorientierten Schreibstil, mag das für einige der vorliegenden Texte gelten, aber nicht für alle. Besonders die späteren wirken wie tagebuchartige Notizen, sind deshalb aber nicht weniger lesenswert. Andere funktionieren als abgeschlossene Kurzgeschichten wunderbar, etwa die Story „Leben und Tod von Miguel“, entstanden zwischen 1967 und 1970, die ein Leben rückwärts erzählt – angesichts der Unwissenheit des Protagonisten um sein unausweichliches Schicksal besonders tragisch.
Neben kuriosen Petitessen wie jener um den Vampir gewordenen Grafen, der sich vom Blut Jesu’ auf dem Kreuze ernährt („Die Spiegelzeremonie“) findet man wegweisende Almodóvar-Storys. „Der Besuch“ ist eine Art Vorstudie zum Film „Schlechte Erziehung“, der Missbrauch in der Kirche thematisiert. Die vielleicht gelungenste Geschichte „Zu viele Geschlechtsumwandlungen“ beinhaltet Schlüsselmomente des Oscar-gekrönten Films „Alles über meine Mutter“. Protagonist Léon will darin Tennessee Williams’ „Endstation Sehnsucht“ und John Cassavetes’ „Opening Night“ auf einmal spielen. Die unbekümmerte, weltumarmende Aneignung von allem, was gut ist: Dieser Eklektizismus ist einfach berückend!
Wem das filmische Universum Almodóvars verschlossen geblieben ist, der wird vielleicht auch mit seinen Erzählungen wenig anfangen. Aber eigentlich ist es schwer vorstellbar, dass man sich dieser „ungeheuren Lust am Leben und am Erschaffen“, mit der sich der schillernde Künstler selbst charakterisiert,entziehen kann.